Ein Lied vom Tode
Was ist der Tod?
Ein Abendrot,
In dem dein Glühen still verloht,
Oder wirklich die schwarze Wand,
Die uns wie ein Gefängnis umspannt?
Unseres Lebens Uferrand,
Ist es Anfang oder Ende?
Gewesenes und Werdendes reichten sich die Hände,
Bald ist's, als bände
Er Blumen, die er schnitt,
Als er über die Wiesen des Lebens ritt,
Zu bunten Gewinden.
Bald aber gleicht er dem Blinden,
Der alles niedertritt
Mit unbeholfenen Bauernsohlen;
Bald kommt er sich holen
Die schönste, wie zum Ringelreihn,
Oder er lädt tausend Gäste ein
In sein fernes Schloß.
Bald ist er Brautgenoß,
Bald verbuhlter Ehebrecher,
Bald ein frecher Kinderdieb.
Doch haben ihn lieb
Die Kleinen.
Nur die Großen weinen,
Weil sie sein Spiel nimmer verstehn,
Weil sie nimmer wollen geradeaus gehn;
Viele Wege locken in dunkle Alleen.
Wer Wunder will sehen,
Muß mit ihm gehen,
Dem Pfadefinder — —
Das wagen nur Kinder.
Aus: Hugo Zuckermann, Gedichte, R. Löwit Verlag Wien 1915
Hugo Zuckermann, geboren am 15. Mai 1881 in Eger, Österreich-Ungarn; gestorben am 23. Dezember 1914 ebendort. Zusammen mit Oskar Rosenfeld hatte er 1908 die Jüdische Bühne, das erste jüdische Theater in Wien, gegründet, das bis 1938 bestand. Er war Soldat im Ersten Weltkrieg, er erlag seinen Verletzungen in seiner Geburtsstadt und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Eger begraben.
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