In einem Haus
In einem Haus, auf feinem Tannenreiser,
sitzen ein Bettelmann und ein Kaiser.
Beide summen und lachen und trinken
und reden laut und leise und winken.
Ein volles Jahr rollt über das Dach.
Ein volles Jahr rollt über das Dach.
In der Fremde
Ist es so auf Erden?
Bin in die Welt gegangen.
Habe mancherlei angefangen.
Aber die Leute lachten.
Auf dem Felde gegraben.
Einen Wagen gezogen.
Einen Zaun gerade gestellt.
Tür und Fenster gestrichen.
Warme Kleider genäht.
Hölzerne Truhe gezimmert.
Feine Stoffe gewoben.
Goldenes Ringlein geschmiedet.
Was soll nun werden?
Werde nach Hause wandern,
und barfuß ankommen.
Auferstehungssonett
Die Wolken ziehn am Horizont wie weiße Vögel schon gelassen hin.
Doch traumverwirrt noch schläft der Glockenblume blauer Schlag.
Es liegen staunend Dachs und Hund und Hamster auf den Knien.
Und wundersam von zarter Röte überhaucht erwacht der jüngste Tag.
Dies ist der milde Atem wohl, der tröstend in den Lüften schwebt.
Schon regt es sich in allen Zweigen und die Bäche raunen.
Von allen Gipfeln zittert es beglückt und drängt und bebt,
dem Sphärenjubel ähnlich und den Liedern himmlischer Posaunen.
Wer spricht hier noch, wie fern ich war im Strome wesenloser Dinge?
Nun blühe ich empor aus jedem Tropfen und aus jedem Blatt,
und trinke mich mit tausend Mündern an der frühen Klarheit satt.
Aus Zedernholz sind meine Flügel, die ich rauschend schwinge.
Aus Meerschaum ist mein Leib, und meine Füße sind Kristall.
Und Sonnenstaub ist alles, was ich schuf aus meinem tiefsten Fall.
Jesse Thoor, aus: Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1975
Jesse Thoor, geboren am 23. Januar 1905 als Peter Karl Höfler in Berlin; gestorben am 15. August 1952 in Lienz/Osttirol, deutsch-österreichischer Schriftsteller. Er begab sich früh auf Wanderschaft quer durch Europa. Sein Vagantenleben führte ihn nach Italien, Spanien, Ungarn und die Niederlande, wobei er zeitweise als Heizer in der Küstenschifffahrt arbeitete. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ging Thoor 1933 nach Österreich. Er lebte in Wien und arbeitete als Tischler, Bildhauer und Silberschmied. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 floh er nach Brünn in der Tschechoslowakei. Hier nahm er sein Pseudonym „Jesse Thoor“ an. Im Dezember 1938 erhielt er, auf Anregung von Franz Werfel, durch Vermittlung der American Guild for German Cultural Freedom für sich und seine Frau Friederike Blumenfeld eine Einreiseerlaubnis nach Großbritannien. Allerdings war er zeitweise als „Feindlicher Ausländer“ in Devon und auf der Isle of Man interniert. Nach der Entlassung arbeitete Thoor in Heimarbeit für einen Londoner Goldschmied. (Wiki)
Das Bild ist von Félix Vallotton (1865 - 1925)
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