Stimmen am Abend
Ich will nicht die heißen Lichter,
Die in den Wolken sind,
Ich bin ein Träumer und Dichter,
Uralter Märchen Kind.
Ich will in verlorenen Tönen
Ein Wundereiland sehn
Und dort mit meinem Sehnen
Allein durch den Frühling gehn.
Und sanfte Farben möcht' ich
Tief auf des Himmels Grund
Und eine Blume prächtig,
Vor der ich staunend stund. -
Und daß mein Wünschen und Trauern
In ihren Düften wär,
Nach rissigen Klostermauern,
Nach Liedern süß und schwer. -
Nach all der alten Romantik,
Nach versunkenem Sagenspiel,
Nach dem Zauberkarfunkel kantig
Und Lippen rot und kühl . . .
Und süßer Frauen Prunken,
Mit Augen wunderbar,
Deren Trauer ich einmal getrunken
Vor manchem verklungenen Jahr.
Gedenken
Ein Singen von schönen Frauen
Süß und schwer,
Mir klingt es aus wundersam blauen
Zeiten her -
Es steigen seltsame Weisen
Tief und weh
Empor aus dem alten und leisen
Märchensee.
Ein lange vergessenes Sehnen
Hat mich gefaßt,
Nach ihren Zauberschwänen
Im Glaspalast.
Wo sie im See seit Tagen
Sitzt und sinnt
Und ihre traurigen Sagen
Und Träume spinnt.
Nach den Fischen am grünen Grunde
Und ihrem Spiel,
Und ihrem Munde
Rot und kühl.
Nach ihrem stolzen Werben
Wild und krank
Und einem seligen Sterben
Bei ihrem Sang,
Wenn die Harfen golden klingen
Wunderbar
Und in ihrem Singen
Die Liebe war,
Die mich in dunklen Stunden
Märchensüß
An ihren Wunden
Vergehen ließ.
Paul Leppin, aus: Glocken die im Dunkeln rufen, Gedichte, Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903
Paul Leppin, geboren am 27. 11. 1878 in Prag, gestorben ebenda am 10. 4. 1945, entstammte ärmlichen Verhältnissen. Zwar besuchte er das Gymnasium bis zur Matura, war danach jedoch gezwungen, eine Stelle bei der Prager Post- und Telegrafendirektion anzunehmen. Er war bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung im Jahre 1928 als Beamter tätig. Neben dieser bürgerlichen Existenz begann er früh mit dem Schreiben. Um die Jahrhundertwende galt Leppin, der unter anderem mit Victor Hadwiger, Gustav Meyrink, Richard Dehmel und Else Lasker-Schüler befreundet war, als einer der Protagonisten der literarischen Bewegung „Jung-Prag“ und pflegte auch enge Beziehungen zu tschechischen Autoren. Nach dem deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei im Jahre 1939 wurde er von der Gestapo verhaftet und erlitt nach der Freilassung einen Schlaganfall. (Wiki)
Das Bild „Dreamland“ (1906) ist von Alice Pike Barney (1857 - 1931)
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