Laternentraum
Wenn ich tot bin,
möchte ich immerhin
so eine Laterne sein,
und die müßte vor deiner Türe sein
und den fahlen
Abend überstrahlen.
Oder am Hafen,
wo die großen Dampfer schlafen
und wo die Mädchen lachen,
würde ich wachen
an einem schmalen schmutzigen Fleet
und dem zublinzeln, der einsam geht.
In einer engen
Gasse möcht ich hängen
als rote Blechlaterne
vor einer Taverne –
und in Gedanken
und im Nachtwind schwanken
zu ihren Gesängen.
Oder so eine sein, die ein Kind
mit großen Augen ansteckt,
wenn es erschreckt entdeckt,
daß es allein ist und weil der Wind
so johlt an den Fensterluken –
und die Träume draußen spuken.
Wolfgang Borchert, geboren am 20. Mai 1921 in Hamburg; gestorben am 20. November 1947 in Basel
Laternentraum aus: Laterne, Nacht und Sterne. Gedichte um Hamburg 1946
Das Bild „Haus mit Laterne“ ist von Marianne von Werefkin (1860 - 1938)
Jedesmal, wenn ich dieses Gedicht lese, denke ich sofort an die folgenden Zeilen aus dem Gedicht „Ehrgeiz“ von Joachim Ringelnatz, vielleicht, weil hier wie dort die Fensterluken spuken:
Und ich pfeife durchaus nicht auf Ehre.
Im Gegenteil. Mein Ideal wäre,
Daß man nach meinem Tod (grano salis)
Ein Gäßchen nach mir benennt, ein ganz schmales
Und krummes Gäßchen, mit niedrigen Türchen,
Mit steilen Treppchen und feilen Hürchen,
Mit Schatten und schiefen Fensterluken.
Dort würde ich spuken.
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