Donnerstag, 20. Juli 2023

Eleonore Kalkowska: Die Mutter

 



Die Mutter

Eine schweigt, seitdem sie die Nachricht empfing. . .
Zeit und Raum konnt´ die Stunde nicht halten,
Irgendwo, wie ein Blitz, im Leeren sie hing
Und hat der Tage bleiernen Ring
Gespalten;
Zerstört von den Flammen,
Kommt gestern und morgen nimmer zusammen.

Und sie schweigt. Denn sie kann von den Dingen nicht reden,
Wie früher. Und zeitlos die Zeit verrinnt.
Das Gestern ein Haus mit geschlossenen Läden,
Das Morgen - die Leere. Und doch, leise, spinnt
Sie das Graugarn des Grams. Und sind neue Fäden
Zu ihrem Kind.

Eleonore Kalkowska, aus: Neues Frauenleben, XVIII. Jg., Juli 1916, Nr. 7




Eleonore Kalkowska, geboren am 22. Juni 1883 in Warschau, war eine polnisch-deutsche Schriftstellerin und Schauspielerin.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Eleonore Kalkowska 1933 zweimal verhaftet, jedoch nach Intervention des polnischen Gesandten jeweils kurz darauf wieder freigelassen. Daraufhin verließ sie Deutschland und lebte zunächst in Paris, danach in London. Sie starb am 21. Juli 1937 in Bern.

Das Bild ist von Alexandre Séon (1855 - 1917)

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