Wandle ich einsam über die Heide,
Wenn der Wind vom Meere herüberstreicht
Rings um mich her ein totes Schweigen,
Kein Leben, soweit das Auge reicht.
Da erwachen in mir der Kindheit Tage,
Ich gedenke der düstern freudlosen Zeit,
Aufs Neue erwacht im Herzen die Klage,
Des einsamen Kindes einsames Leid.
Das ungestillte Sehnen nach Liebe,
Es regt sich wieder so weh und bang.
Weitere und weiter mit müden Schritten
Geh ich die einsame Heide entlang.
Jugendgedicht von Franziska zu Reventlow, aus: Kerstin Decker - Franziska zu Reventlos, eine Biografie, Berlin Verlag, 2018
Fanny (Franziska) Gräfin zu Reventlow (* 18. Mai 1871 in Husum; † 26. Juli 1918 in Locarno, Schweiz) Schriftstellerin, Übersetzerin und Malerin. Sie wurde berühmt als „Skandalgräfin“ oder „Schwabinger Gräfin“ der Münchner Bohème und als Autorin des Schlüsselromans Herrn Dames Aufzeichnungen (1913).
Ihre Erfahrungen mit der Münchner Künstlerszene – vor allem mit dem „Kosmiker“-Kreis um Karl Wolfskehl, Ludwig Klages und Alfred Schuler, denen sie ihres unehelichen Kindes und ihrer erotischen Freizügigkeit wegen als „heidnische Madonna“ und „Wiedergeburt der antiken Hetäre“ galt – verarbeitete sie in ihrem humoristischen Schlüsselroman Herrn Dames Aufzeichnungen. Sie pflegte außerdem Umgang mit Oscar A. H. Schmitz, Theodor Lessing, Friedrich Huch, Erich Mühsam, Oskar Panizza, Rainer Maria Rilke, Marianne von Werefkin, Alexej von Jawlensky (dessen Malschule sie 1906 besuchte), Frank Wedekind und zahlreichen anderen Exponenten der „Münchner Moderne“.
Am 26. Juli 1918 starb Fanny zu Reventlow im Alter von siebenundvierzig Jahren in einer Klinik in Locarno an den Folgen eines Fahrradsturzes.
Das Bild ist von Marianne von Werefkin (1860 - 1938)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen