Samstag, 22. Juli 2023

Emmy Hennings: Gedichte aus dem Simplicissimus

 



Es ist ein Lächeln. . .

Es ist ein Lächeln in den Untergängen.
Die Sonne schmiegt sich in die Einsamkeit.
Der Abend ist erfüllt von Klängen.
Hingebung träumt die Dunkelheit.

Das ist die Zeit der leisen Wachen.
Das ist die tiefste aller Stunden:
Die hohe Luft will sich entfachen,
Und selig brennen meine Wunden.

Jetzt gib mir, Nacht, die letzte Kunde,
O, lass mich sein das stille Lauschen.
Lass hangen mich am unsichtbaren Munde,
An deinem Stummsein mich berauschen.

Du lösest leicht die schweren Tage.
Du bist der Sanftmut milde Macht,
Du weicher Mantel, ferne Sage,
Umhülle mich, geliebte Nacht.

Aus: Simplicissimus Heft 3 1926


Sieh, die Nacht. . .

Sieh, die Nacht trägt an der Stirne
Funkelndes Geschmeide.
Weiße Horizonte flammen
Licht an ihrem Kleide.

Alle Uhren bleiben stehen,
Alle Winde ruhen.
Die Verstorbenen singen leise
In den dunklen Truhen.

Doch die da am Leben hangen
Nippen an den Krügen,
Und es schwingen ihre Lippen
Sich zu hohen Flügen.

Bis sie in der Feierstunde
Glühendem Versinken
Lautlos von den Klippen stürzen,
Um das Meer zu trinken. . .

Aus: Simplicissimus Heft 34 1929, die Zeichnung von Rudolf Sieck (1877 - 1957) war diesem Gedicht vorangestellt.


Wanderung

Noch halten wir uns an den Händen.
Zeit schimmert hell in lichten Reihen.
Sieh, es will leise Lilien schneien;
Die Herzen wollen sich verschwenden.

Jetzt bist du ich, und ich bin du.
Der Weg ist uns ein weißer Traum.
Wir spielen, wandern immerzu,
Vertauschen uns am fernen Saum.

Und einst wird sein ein zart verwehen.
Dann will ich sinken in dein Angesicht,
Lächeln in dir, mein stilles Untergehen.
Es spielt um uns das helle Licht.

Aus: Simplicissimus Heft 51 1926, auch im Heft 52, 1928 mit der Überschrift Kleines Liebeslied


Türmen sich Tage

Jetzt geh ich soviel Gassen auf und ab.
Türmen sich Tage, türmt sich das Grab.
Mein Grab wird groß, mein Grab wird weit,
Umfängt mich Todeshügel der Vergänglichkeit.

Und immer träum ich doch im Tanzen, tanz in Träumen.
Und blüh im Raume - und verwelk in Räumen.
Meine Augen sind ein Sehn und ein Versehn.
Meine Haare sind ein Wehn und ein Verwehn.

Meine Hände sind ein Halten und ein Fallen,
Meine Worte sind ein Schrei und ein Verhallen.
Und ach, meine Tage sind ein Versinken,
Die Frühe will schon dem Abend winken.

Meine Rosen glühn, wenn grauer Himmel schneit.
Mein junger Morgen träumt in weicher Dunkelheit. . .
Und habe so viel Zärtlichkeit verhaucht in viel Ohren.
Wo singt wohl Lust, die ich versang? So tief verloren?

Wo schwebt mein Sein, mein süß Verlieben?
Wo ist mein Lieben nun, in dich hineingeliebt, geblieben?
Im Gruß liegt Abschied - Im Anfang Ende
Und nur die Sehnsucht leuchtet durch alle Wände.

Aus: Simplicissimus, Heft 3 1925


Blaue Lilien

Blaue Lilien leise singen
Märchen aus dem Wunderland.
Und die Seele will durchdringen
Zartes, schleierloses Band.

Alle Blumen liebend lauschen
Auf den einen Herzensschlag.
Sagenhafte Bäume rauschen
Hoch in meinen Frühlingstag.

Geh ich träumend durch die Tiefen,
Erdgeboren, helles Licht,
Alle Sonnen, die mich riefen,
sinken in mein Angesicht.

Seligkeit, fall in die Seele.
Sieh mich stumm in deiner Macht.
Letzte Ohnmacht dir erwähle,
Überlicht und Augenwacht.

Aus: Simplicissimus, Heft 8 1925


Die Heiligen sind. . .

Die Heiligen sind Sommernachmittage.
Die Worte wehen weiche Flocken.
Das Schäfchen mit den Seidelocken
Ist schimmernd helle, fromme Sage.

Verstand ich doch, o süß Vertrauen,
Da Menschliches mich nicht verstand,
Hindurchgeliebt durch jede Wand,
Durch jeden Schleier deinen Grund zu schauen.

O, du Genosse der Verwunschenheit,
Komm zu mir in den fernsten Traum,
Und uns umblüht der Märchenbaum,
Die Blume aus der Ewigkeit.

Aus: Simplicissimus Heft 39 1925

Emmy Hennings, geboren am 17. Januar 1885 in Flensburg; gestorben am 10. August 1948 in Sorengo bei Lugano, Dichterin, unter anderem Mitbegründerin des legendären Cabaret Voltaire 1916 in Zürich.

Der Simplicissimus war eine satirische Wochenzeitschrift, die von 1896 bis 1944 erschien. 

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