Donnerstag, 27. Juli 2023

Jakob Haringer: Gedichte aus dem Simplicissimus


 
Melodie

Wohl war schön die weiße Zeit,
Schlief der Wind in deinem Kleid,
War die Welt wie ein Gedicht,
Aber Frühling war es nicht.

Wohl war süß dein weißer Leib,
War meines Lebens liebste Zeit,
War meiner Nächte tiefstes Licht -
Aber Liebe war es nicht!

Wohl kam oft mir Glanz und Mai,
Ach - ist alles lang vorbei,
Ist verweht wie ein Gedicht -
Aber Leben war es nicht!

Wohl hat Leid mein Herz verstaubt,
Doch die Welt ist lang entlaubt,
Ob auch alles dir zerbricht -
Aber Tod ist´s doch noch nicht.

Aus Simplicissimus, Heft 15 1930


Auf dem Wasser

Die Rosen blühn und goldne Sänger wiegen
Sich lieb verträumt im Laub, süß grünt das Gras.
Am blauen Ufer weiße Reiher fliegen,
Fast wär das Leben wie ein Sommerglas.

Ein milder Hauch weht durch die klaren Sterne,
Und alle Menschen sind einander gut;
Beim Abendschein blühn Flöten, aus der Ferne
Ein Kahn zieht heim. . . und manches Unglück ruht.

Aus Simplicissimus, Heft 16 1926


August

Die kleinen bunten Bauerngärten strahlen,
ein altes Schloss grüßt hinterm dunklen Wald.
Drei Raben leuchten in der letzten Sonne -
auf Erden ist für uns kein Aufenthalt.

Ein kleiner Hund scherzt. Eine Zither tändelt;
süß duftet Heu. Die Abendglocken wehn
ein banges Kinderhoffen dir ums Antlitz:
vor einem alten Berghaus bleibst du stehn.

Ich möcht die Stirn ans Kirchengitter lehnen.
Ein Kind schreit, und du denkst: Ach wär´s doch mein´s.
Im Wirtshaus lustig junge Bauern schäkern.
O wär´ ihr lächelnd Kinderleben mein´s.

Gebirge blau´n wie dunkle Traumkulissen.
Ein Liebespaar ruht aus im hohen Gras.
Des Lebens Mittag hat mich lang verlassen - - -
und alles brach wie Lust und Glück und Glas. . .

Bei armer Kneipe blauen Zauberlichtern
denk´ ich an dich. Der erste Vogel singt.
Des Lebens Abend dämmert letztes Scheiden. . .
Vielleicht, dass dieser Tag ein Lied mir bringt.

Aus Simplicissimus, Heft 22 1927


Erinnerung

In meiner Heimat ist alles viel schöner -
der Frühling, die Mädchen und alles Leid.
In meiner Heimat blühn nun die Astern,
da rauschen die Brunnen von alter Zeit.

Da plaudern die Mägde fröhlich vorm Haustor,
da fährt man die Pferde zur Tränke, und leis
singen die Fuhrleut die uralten Lieder
von Alpenrosen und Edelweiß.

Wird Manche sich wohl auch mal meiner erinnern,
die Mutter betet für mich, oh sie meint,
dass ich dann glücklich, gescheiter und braver
und all meine Wege mit Sonne bescheint.

Die alte Frau - ach, was weiß sie vom Leben!
Der Vater spielt Billard im kleinen Café,
die Schwester strickt Strümpfe für ihren Jungen,
Verliebte zerpflücken viel Mohn und viel Klee.

Ich denk an all die verlorenen Jahre,
mein Glück, meine Jugend . . . ach alles ist Nacht.
Was hab ich mit den viel schönen Blumen -
Was hab ich mit meinem Leben gemacht!

Ihr kleinen Sterne. . . o grüßt mir die Heimat!
Ob ich noch einmal die Donau seh!
Für was hat die alten Frau denn gebetet,
und für wen blüht der rote Mohn und der weiße Klee.

Aus Simplicissimus Heft 22 1932


Merkspruch

Was sollen wir die kurze Frist
Das Leben uns verbittern,
Weiß keiner doch, was morgen ist,
Wird uns ein Unglück umgittern.

Lach die Welt und das Schicksal aus,
Bleibt dir kein Freund und kein Pfennig,
Der Blitz schlägt ein ins schönste Haus,
Kein Weib, kein Glück ist beständig.

Pfeif dir ein Lied und vergiss, o vergiss
Rosen und Schmetterlinge.
Wenn der Schwindel vorüber ist,
Kommen die himmlischen Dinge.

Aus Simplicissimus, Heft 40 1930


Trost

Ehrliche Fäuste liebt Gott oft mehr
als betende Hände, die lügen so sehr,
die lügen Demut und kindliches Tun
und sind voll Ehrgeiz und wollen Ruhm.
Gott ist kein Richter, kein Wurm und kein Hund,
wird ihm die trotzige Faust oft zum Mund,
wird ihm die Faust oft zur Träne, die fleht
mehr als der Frömmler winselnd Gebet.
Öffnet er leis oft die Faust und die Pein
legt einen goldenen Stern dann hinein.

Aus Simplicissimus, Heft 46 1932


Jakob Haringer (1889 - 1948)

René Schwachhofer schrieb 1947 in der verdienstvollen Auswahl vergessener, von den Faschisten verfemter Lyriker "Vom Schweigen befreit":

„Haringer hat einige der schönsten deutschen Gedichte geschrieben; sie könnten im Volksmund umgehen. Einst wird man fragen: Wer war ihr Verfasser?“

Der Simplicissimus war eine satirische Wochenzeitschrift, die von 1896 bis 1944 erschien.

Das Portrait des Dichters im Alter von 22 Jahren ist ein Holzschnitt von Emil Betzler (1892 - 1974)

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