Prolog zu einem Maskenspiel
In allen Dingen ist das selbe Leben,
und alle träumen wir den gleichen Traum.
An einem Webstuhl sitzen wir und weben
das graue Tuch von Zeit und Ding und Raum
und jedem ist die Täuschung eingegeben,
dass er seinen bunten Faden spinnt,
und glaubt, er leb und sterb ein eignes Leben,
da ich wie du und wir wie alle sind.
Doch Wort und Schweigen lügt uns auseinander
und macht dich fremd zu mir und mich zu dir,
macht den zum Arlekin, den zum Cassander,
zum Helden den, und den zum blöden Tier.
Wir wissen nicht und haben viele Worte,
wir suchen Licht und gehen in die Nacht,
ganz müde leidet´s uns an keinem Orte,
und wissen nicht, was uns so müde macht.
In eine Laune sind wir tief beschlossen,
und drücken fest die Maske vors Gesicht,
das Spiel geht ernst, und oft ist Blut geflossen,
und einer sagt ein rührendes Gedicht
von Scham und Scheu und Herzen wund gestoßen -
So spielt´s mit uns, wir aber spielen nicht.
Wir haben keinen Ort und keine Stunde
und nicht mehr Dauer als ein Traumgesicht,
wir sagen Schmerz und was ist unsre Wunde?
Wir sagen Lust und was ist unser Licht?
Stummes Gespräch
Hier ist der Schlüssel an der Tür
Schließ auf Tritt ein Was zögerst du?
Du warst so lange nicht bei mir,
da stand ich immer hier
und wartete.
Was hast du denn! Ach lass nur, lass!
Es ist ja tot Ich trag es fort
Es ist schon ganz verwelkt und blass -
es ist dein letztes Wort.
Erkennst du´s noch?
Das hauste hier die ganze Zeit
und ließ mich vor der Türe stehn
des Wartens graue Ewigkeit.
Nun lass uns weiter gehen,
den letzten Weg.
Den Hügel noch, dann ists vorbei
Dann ist das Ruhen dein und mein.
O lächle noch! Bald ists vorbei,
und Stein und Licht und Wort und Schrei
hüllt schon der trübe Abend ein.
Was letzter Frage Antwort sei?
- Alles ist nichts.
Franz Blei, aus Drei Gedichte, in Hyperion, eine Zweimonatszeitschrift, herausgegeben von Franz Blei und Carl Sternheim, Viertes Heft 1908, Hans von Weber Verlag, München 1908
Franz Blei, geboren am 18. Januar 1871 in Wien; gestorben am 10. Juli 1942 im Exil in Westbury, New York, USA), Schriftsteller, Übersetzer, Herausgeber und Literaturkritiker.
Das Foto zeigt Franz Blei 1924, aufgenommen von Nini und Carry Hess.
Die Schwestern Nini (geb. 21. August 1884; gest. 1943 in Auschwitz) und Carry Hess (geb. 11. November 1889; gest. 1957 in Chur, Schweiz) zählten zu den bedeutendsten Lichtbildkünstlerinnen der Weimarer Republik. Wegen ihrer jüdischen Herkunft wurden die beiden Fotografinnen von den Nationalsozialisten verfolgt und ihr Werk und ihr Leben zerstört.
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