Dienstag, 18. Juli 2023

Else Rüthel: Der Liebe Angesicht / Blumen

 



Der Liebe Angesicht

Ein Stern fiel in die Milch des Sees.
Im blauen Ringen rennt der Sturz zu Rande
und bricht sich ohne Laut des Weh´s,
ein Silberlicht, am schwarzen Wälderbande.

Und fallen Herzen Brust auf Brust
und schicken hell in dunklen Nächten
einander Ruf und Blut und Lust
wie Grubenlichter in die Adernschächte.

Ein Kuß. Ein Fluch. Vergeßlichkeit.
Doch Welt und All und Blut erfüllt
des Lichtes Unermesslichkeit.
Der Liebe Angesicht ist tief verhüllt.

Else Rüthel, aus: „An den Wind geschrieben, Lyrik der Freiheit 1933 – 1945“, gesammelt, ausgewählt und eingeleitet von Manfred Schlösser unter Mitarbeit von Hans-Rolf Ropertz; Schriftenreihe Agora, Darmstadt 1960, auch in der Sammlung Else Rüthel, Anbruch des Tags. Gedichte. Verlag Der Monat (Dr. B. Kilian) Prag / Wien 1936

Blumen

Sie tragen auf schmächtigen Leibern im Hellen
den mächtigen Glanz ihrer kleinen Gesichter.
Sie glühen in Blütengestirnen und -bällen,
Sie malen bunt ins Lichte neue Lichter.
Sie stehn wie wundermilde Heilskapellen.
Und was da summt und sanft umschweift,
ist Gottes kleiner Finger, der sie streift.

Sie äugen mit äußerster Kraft aus den Lidern,
um tapfer und wachsam gewachsen dem Tage
mit einem innigsten Blick zu erwidern.
Sie glauben schlicht an eine große Sage
und formen Worte mit den feinen Gliedern.
Sie reihen in das Grün der Trift
die holden Zeilen einer heiligen Schrift.

Aus: Simplicissimus, Heft 19, Jahrgang 38, 1933

Else Rüthel, geboren am 3.8.1899 Köln-Ehrenfeld, gestorben am 19.7.1938 Brünn, Schauspielerin, Mitglied der Münchner Kammerspiele und des literarischen Kabaretts "Simplicissimus", 1927 Heirat mit dem Schriftsteller, Politiker und Journalisten Will Schaber, Rundfunkmitarbeiterin in Berlin, Stuttgart und München. 1933 emigrierte sie über Estland nach Brünn und wurde Mitarbeiterin der deutschen Abteilung von Radio Brünn, der "Neuen Zürcher Zeitung", des Brünner "Tagesboten" und des Prager "Monats". Foto: Museum der Stadt Brünn.

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