Rumpelstilzchen
„Heute back ich, morgen brau ich,
übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;
ach wie gut, dass niemand weiß,
dass ich Rumpelstilzchen heiß!“
Bestrahltes Felsgeklüft rahmt fremd ein Bild -:
Ein emsig Männchen in der mosigen Lichtung
legt trockne Scheite zu durchlohter Schichtung,
dem Tiegel unter, drin des Mondes Schild
sich spiegelt auf dem Sud, der gährend quillt.
Oft neigt er prüfend sich zu näherer Sichtung,
raunt drohnte Strophen rauh geratner Dichtung
und eilt und schleppt und summt und lächelt wild
und wirft, die er in vollen Fäusten trug,
die kundige Mischungen trocknen Kräutersamens,
bis schwebend blau und klar die Flamme schlug.
Dann hastet er im Raum des Felsenrahmens
und tollt und tanzt und tut sich kaum genug
am krausen Klang des ungekannten Namens.
„Rapunzel! Rapunzel!
Lass mir dein Haar herunter!“
Ich strählte Nacht für Nacht mit breiten Kämmen
den goldnen Strom der wogenschweren Haare;
nun wallen sie als eine wunderbare
bestrahlte Flut und sind nicht einzudämmen.
So rankt kein Birkenlaub von bleichen Stämmen.
Und wenn ich in die weichen Schleier fahre
und reiche sie hinaus, die sommerklare
tiefdunkle Nacht mit Gold zu überschwemmen,
erwacht die Nachtigall in Tau und Kühle
und strömt in die berückten Himmelmeere
und in mein Lichtgelock so süße Schwere,
dass, naht der Knabe, sich emporzuschwingen
in Duft und Glanz, ich in den goldnen Ringen
die Last des schlanken Leibes kaum noch fühle.
Max Bruns, aus: Die Lieder des Abends, Minden 1916
Max Bruns, geboren am 13. 7. 1876 in Minden, war Verleger, Übersetzer und Dichter. Unter anderem übersetzte er Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen, an dieser Übersetzung arbeitete er mit seiner Frau Margarete Bruns zusammen. Er starb am 23. 7. 1945 in seinem Geburtsort an den Folgen eines Raubüberfalls.
„Wenn schon dem Menschen diese beiden Mittel gegeben sind, sich selbst zu vollenden, die Liebe und die Kunst: wie sehr muß es ihm dann vergönnt sein, sich bis zu seinen äußersten Möglichkeiten zu steigern, wenn er dem Erlebnis der Liebe im Kunstwerk Ausdruck und Gestaltung gibt!“ Max Bruns
Die Illustration ist von Anne Anderson (1874 - 1952)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen