Mittwoch, 19. Juli 2023

Hugo Sonnenschein: Kraft zu blühn

 



Kraft zu blühn

Krieg ist jetzt, Winter, wir haben den Traum,
gläubige Brüder, ein Mensch und ein Baum:
Einmal war Frühling plötzlich vorhanden:
selig sind wir in Blüte gestanden.

Noch im Verblühn
durften wir dann
verschattete Hecken
mit leichten Blumenblättern verdecken.

Aus unseren winzigen Stempeln schufen lichte
himmlische Finger süße Früchte:
wir mussten, von Gottes Gnaden beladen,
in Demut die Häupter senken,
Blut Gottes willig der Erde verschenken.

Jetzt ist Krieg, Winter, wir müssen in harten
Tagen die endlichneue Blüte erwarten,
wissende Brüder, Mensch und Baum,
ruhn im Traum:
leidvolle Zeit verloren geh,
Liebe ersteh.

Hugo Sonnenschein, aus: Die Aktion, 6. Juli 1916

Hugo Sonnenschein, geboren am 25. Mai 1889 in Gaya, Österreich-Ungarn, gestorben am 20. Juli 1953 in Mirov, Tschechoslowakei, er schuf expressive Gedichte mit volksliedhaften Zügen. In seinen Gedichten stilisierte er sich selbst zum „Bruder Sonka“. Von 1911 bis 1914 zog er als Vagabund durch Europa. 1934 wurde er aus Österreich ausgewiesen. 1940 wurde er von den Nazis im Gefängnis Pankrác inhaftiert und 1943 in das KZ Auschwitz deportiert und 1945 befreit. Seine Frau wurde in Auschwitz-Birkenau ermordet.

Das Foto nahm der Fotograf Anton Josef Trčka (1893 - 1940) auf und zeigt Hugo Sonnenschein 1914

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