Freitag, 28. Juli 2023

Isaac Schreyer: Der Tag des Einsamen

 



Der Tag des Einsamen

Die bleichen Tage, die wie Mondglanz schimmern,
Sie legten über mich die bleiche Hand.
Und eine Flamme schwebt in allen Zimmern,
Verblasst allmählich still und unbekannt.

Es löst sich all die Starre in den Spiegeln,
Wie eine Schale, die man weggeschält.
Und sanfte Furcht will jedes Ding besiegeln,
Die sich der Seele wie ein Klang vermählt.

Und etwas ringt in diesem grauen Schweigen
- Ich weiß nicht was es ist, und höre kaum -:
Es ist, als schwinge sich im ganzen Raum
Ein stiller Reigen unsichtbarer Geigen.

Isaac Schreyer, aus: Die Schaubühne, Nr. 9 1912. Die Zeitschrift wurde 1905 von Siegfried Jacobsohn gegründet und 1918 in Die Weltbühne umbenannt.

Das Bild ist von Mikalojus Konstantinas Ciurlionis (1875 - 1911)

Isaac Schreyer, Lyriker und Übersetzer, geboren am 20. Oktober 1890 in Wiżnitz (Bukowina); starb am 14. Januar 1948 in New York im Exil an einer Herzattacke.

„Schmal ist sein Werk an Umfang, doch seelische Reinheit und innerer Ernst gehen ihm nicht ab. Schwermütig tönen seine Melodien, und durch den Fall der freien Strophen kann man fast die Melismen und Kadenzen von alten Ritualgesängen mitschwingen hören. Expressives und Hymnisches waltet vor. Hölderlin und Trakl heißen Schreyers Götter, doch münden ihre elegischen Stimmen immer in den gewaltigen Orgelschwall der biblischen Psalmen, so daß aus allen drei Elementen schließlich doch ein Neues, unzweifelhaft Eigenartiges entsteht.“

Ernst Waldinger über Isaac Schreyer

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