Donnerstag, 23. Februar 2023

Anna Ritter: Verzweiflung / Stille Zeit, Karl Ernst Knodt: Anna Ritter

 


Verzweiflung

Ich lache ja, bin lustig wie die andern!
Nur dann und wann
Schaut die Verzweiflung mich aus einem Winkel
Der Seele an.

Dann schleiche ich mit jäh erblaßten Lippen
Mich still hinaus,
Reiß mir das bunte Narrenkleid vom Leibe
Und weine mich aus.

* * *

Ich sah einen Adler sich wiegen
Hoch oben im leuchtenden Blau,
Er schaute aus ewigen Fernen
Herab auf mich einsame Frau.

Es standen so träumend die Felder,
So lockend die Berge umher,
Da flog meine Sehnsucht zum Adler,
Zog weitere Kreise als er.

Stille Zeit

Die Tage rinnen leise hin…
Ein jeder bringt ein liebes Glück
Und eine liebe Sorge mit,
Und schau ich so den Weg zurück,
Den ich mit dir gegangen bin,
Da will es mir fast bange werden
Um so viel Seligkeit auf Erden.

Anna Ritter, geborene Nuhn, geboren am 23. Februar 1865 in Coburg; gestorben an 31. Oktober 1921 in Marburg. Ihr bekanntestes Gedicht ist wohl „Vom Christkind"  - Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen! / Es kam aus dem Walde, das Mützchen voll Schnee. . . .

Das Bild zeigt Anna Ritter, veröffentlicht in Die Gartenlaube 1899

An Anna Ritter

Die Sage singt, dass einst ein hohes Weib
Mit flüchtgem Schritt berührt die rauhe Erde,
Ein Sehnsuchtskind von wunderschönem Leib,
Mit Märchenaugen, leidender Geberde.

Sie sang so voll, wie nie zuvor die Welt
Von Frauenlippen hörte hohe Lieder.
Doch war für dies ihr eine Pflicht gestellt:
Für irdische Liebe keine Liebe wieder!

Nur reine Freundschaft. Nur ein heiliger Bund
Der Herzen, - bis gelöst die eigne Seele
Von allem Staub, damit sich Herz und Mund
Und Melodie den Seligen vermähle.

So hat auch dich die Gottheit wach geküsst
Zur Priesterin der Schönheit ... Süsse Töne
Sangst du der Welt. Dass sie dafür dich grüsst,
Sei ihr kein Dank, - kein Fallstrick deiner Schöne!

Frei schreite du durch allen Glast und Glanz,
Mit leichten Schritten, fest den Blick nach oben,
Dass du mit deinem letzten Liede ganz
Zur ewigen Vestale seist erhoben!

Karl Ernst Knodt (1856 – 1917), aus: Neue Gedichte, 1. Auflage 1902



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