Sonntag, 19. Februar 2023

Fritz Oerter: Gedichte aus seinem Tagebuch 1914

 


Meine schönsten Gedichte genoß ich allein;
ich hab´ sie nicht niedergeschrieben;
es wär ihr Aroma bezaubernd und fein
sonst nicht mir erhalten geblieben.

Mein besseres Leben, ich lebte es nicht,
das habe ich nur geträumt;
im Übrigen zog ich am Wagen der Pflicht -
wie ein Esel bepackt und gezäumt.

Fritz Oerter, aus seinem Tagebuch, 13. 6. 1914

Das Vögelchen ist flügge,
will bleiben nicht zu Haus,
kennt nicht des Daseins Tücke
und flöge doch gern aus.
Du kleiner Kiek in d´ Welt,
Du prüf´ erst deine Kraft,
so stark sich mancher hält,
so schwer wird er bestraft.
Da lauert still der Geier
Der Habicht kreist und lacht -
flieg´Vogel nur, du „freier“
doch nimm dich gut in acht!

Tagebuch, 14. 6. 1914

Es fuhren viel hundert Züge dahin
Mit waffentragenden Leuten.
Die jubelten laut, des träumte ihr Sinn
nach künftigen Siegesfreuden.

Es fahren nun viele Züge nach Haus,
mit armen, zerschossenen Recken,
aus ihren Mienen spricht heimlich der Graus
vor den ausgestandenen Schrecken.

Tagebuch, 1. 11. 1914

Ein Jahr, so schlimm, wie keines war,
verging; wir trauern tief erschauernd.
Bring uns den Frieden, neues Jahr.
Bring ihn uns bald und mach ihn dauernd.

Die halbe Welt in Blut getaucht,
gepeitscht von glühenden Eisenruten,
von Not bedroht, vom Tod umhaucht -
Warum, o Völker, müsst ihr bluten?

Tagebuch, 23. 12. 1914

Fritz Oerter, aus: Tagebücher 1914 Auf der Seite Fürth Wiki als pdf

Fritz Oerter, geboren am 19. Februar 1869 in Straubing als Friedrich Oerter, gestorben am 20. September 1935 in Fürth, Lithograph, Schriftsteller und Buchhändler.

Zunächst trat Fritz Oerter im Jahr 1890 im Alter von 21 Jahren in die SPD ein. Gleichzeitig engagierte er sich für den Anarchismus und schmuggelte gemeinsam mit seinem Bruder Sepp Oerter Agitationsmaterial von den Niederlanden nach Deutschland. Beide Brüder werden im Dezember 1892 in Mainz wegen "aufrührerischer Reden" verhaftet. Fritz Oerter verstand sich als Verfechter der Anarcho-Syndikalistischen Bewegung und als geistiger Nachfolger Gustav Landauers, einem der wichtigsten Theoretiker und Aktivisten des Anarchismus in Deutschland um die Jahrhundertwende. Zur Zeit des erstens Weltkrieges wurde Fritz Oerter als "Anti-Kriegs-Aktivist" eingestuft und zu 15 Monaten Festungshaft verurteilt.

Seine kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus, die er stets auch in seinen Publikationen zum Ausdruck brachte, und seine Kontakte zum demokratischen Widerstand gegen Nationalismus und Großkapital führte immer wieder zu Verhaftungen. Zuletzt wurde Oerter im Alter von 66 Jahren im September 1935 verhaftet und durch die SA verhört. Während der einwöchigen Haft wird Oerter offensichtlich schlecht behandelt, so dass er geschwächt und gebrochen die Haft verlässt. Kurze Zeit später verstirbt Oerter am 20. September 1935 an den Folgen einer Lungenentzündung im Krankenhaus, vermutlich infolge der Misshandlungen durch die SA und der Haftbedingungen. (Wiki)

Das Foto zeigt Fritz Oerter im Jahre 1921

Hier geht es zu den Tagebüchern 1914 auf FürthWiki:  Fritz Oerter Tagebücher 1914

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