Montag, 6. Februar 2023

René Schickele: Abschwur

 


Abschwur

Ich schwöre ab:
jegliche Gewalt,
jedweden Zwang,
und selbst den Zwang,
zu andern gut zu sein.
ich weiß:
ich zwänge nur den Zwang.
Ich weiß:
das Schwert ist stärker
als das Herz,
der Schlag dringt tiefer
als die Hand,
Gewalt regiert,
was gut begann,
zum Bösen.
Wie ich die Welt will
muß ich selber erst
und ganz und ohne Schwere werden.
Ich muß ein Lichtstrahl werden,
ein klares Wasser
und die reinste Hand
zu Gruß und Hilfe dargeboten.
Stern am Abend prüft den Tag,
Nacht wiegt mütterlich den Tag.
Stern am Morgen dankt der Nacht.
Tag strahlt.
Tag um Tag
sucht Strahl um Strahl.
Strahl an Strahl
wird Licht,
ein helles Wasser strebt zum andern,
weithin verzweigte Hände
schaffen still den Bund.

Rene Schickele, aus: Menschheitsdämmerung. Symphonie jüngster Dichtung. Rowohlt, Berlin 1920

René Schickele (* 4. August 1883 in Oberehnheim im Elsass; † 31. Januar 1940 in Vence, Alpes-Maritimes) war ein deutsch-französischer Schriftsteller, Essayist, Übersetzer und Pazifist. Gegen den preußisch-deutschen Militarismus warb Schickele für Völkerverständigung und Sozialismus als Herausgeber der Weißen Blätter. Das nötigte ihn 1915 zur Flucht ins Schweizer Exil. Sein bekanntestes Gedicht ist das oben.

Das Bild ist Hans Baluschek (1870 - 1935), aus seiner Mappe "Der Krieg" von 1914 - 1916

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