Dienstag, 14. Februar 2023

Paul Zech: Morgenweihe

 


Morgenweihe

Das blaue Zwielicht will in Gold zergehn.
Ich höre schon die eichnen Türen schlagen
und frischen Wind vor meinem Fenster wehn.

Nun möchte ich durch das verklärte Land
Sturm laufen und Dir den Frühgruß sagen,
doch eine fromme Scheu hält mich gebannt.

Vielleicht erschreckt mein aufgeregtes Blut
Dein Herz, das von Empfindsamkeit getragen,
noch in den schönsten Purpurträumen ruht.

Will nur wie eine Glocke sein, die sich
durch die gedämpfte Morgenweihe tastet
und leise, leise klingeln: "Liebst Du mich …?"

Indes das Leben fern vorüberhastet.

Paul Zech (1881 - 1946), deutscher Schriftsteller und Übersetzer, aus: Die eiserne Brücke. Neue Gedichte von Paul Zech, 1914

Das Bild ist von Odilon Redon (1840 - 1916)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen