Freitag, 24. Februar 2023

Emil Alphons Rheinhardt: Der leise Ruf

 



Der leise Ruf

Ich bin zu Gast, ich bin verliehn
An Taggeschick und Augenblick -
Das gibt mich weiter, ungediehn.
Was frag´ ich denn? Ich weiß es doch!
Ich weiß die Antwort: Immer noch
Zu Glück bereit und voll von Zeit
Und traurig trotzend: Aber doch!
O Abend, abgelebte Welt
Im bleichen Regen! Tief, so tief
Geschah mir, dass die Stille rief
Aus todessanften Felsen her.
Aus schon vergrauten Wiesen leicht
Hat mich der zarte Ruf erreicht:
Lass dein Gesicht, verlösch dein Licht,
Geh aus dem Haus und gib dich auf!
Du Gast, nichts ist dein eigen mehr -
(Nachtwind kam schon aus Wäldern her!)
Vergiss das Wort, lass alles dort,
Nimm deinen Namen, Mensch, und komm!
Leg´ dich ins nasse Gras und wein´
Dich heim zu deinem Seelensein.
Dann tu von dir, was übrigblieb,
Verlier dich sacht in Regennacht.
In einem todessanften Feld
Gib deinen Namen Gott zurück!
Komm, es ist Zeit! Denn auch das Glück
Ist länger keine Zuflucht mehr.
(Da schwieg der Wind aus Wäldern her.)
Ich stand, furchtbar mit mir verwandt,
Hielt meine Hand wie ferneher
Und wagte Regung nicht noch Schritt.
Ich wusste tief: was mich da rief,
Ein andermal nimmt es mich mit.
So stand ich noch - und lag doch schon
Vergangen unter rotem Mohn.
So lausch´ ich noch - und bin vorbei,
Bin Pappelseufzen, Eulenschrei
Und nur noch diesen Augenblick
Verliehn an Sinn und Ichgeschick.

Emil Alphons Rheinhardt, aus: Tiefer als Liebe, Gedichte, S. Fischer Verlag, Berlin 1919

Emil Alphons Rheinhardt, geboren 4. April 1889 in Wien, Lyriker, Lektor und Schriftsteller, Anfang 1918 wurde er Redakteur in der von Jakob Moreno herausgegebenen, kurzlebigen Zeitschrift Daimon. Er veröffentlichte 1919 seinen Gedichtband Tiefer als Liebe bei S. Fischer.

Im Jahr 1920 zog er als Lektor im 3-Masken-Verlag nach München um. Ab 1928 lebte er an der Côte d’Azur und schrieb hauptsächlich Biographien über bekannte Persönlichkeiten.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland gewährte der eher konservativ eingestellte Rheinhardt deutschen Flüchtlingen wie Golo Mann und Spanienkämpfern wie Bodo Uhse Gastfreundschaft, doch erst nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde er politisch aktiv und gründete mit Robert Musil, Franz Werfel, Joseph Roth, Alfred Polgar und Bruno Walter in Paris die „Liga für das geistige Österreich“.

Bei Kriegsausbruch wurde er in Les Milles interniert, die französische Staatsbürgerschaft hatte er nicht bekommen, auch ein Visum in die Vereinigten Staaten wurde abgelehnt. Nach der französischen Kapitulation zog es ihn wieder in sein Haus in Le Lavandou, das nun in Vichy-Frankreich lag. November 1942 wurde sein Wohnort von den Italienern besetzt. Diese verhafteten ihn am 28. April 1943 wegen Beteiligung am französischen Widerstand. Rheinhardt wurde an die deutsche Gestapo übergeben. Diese transportierte ihn am Juli 1944 von Marseille in das KZ Dachau, wo er am 25. Februar 1945 an Fleckfieber starb.

Das Portrait (1929) von ihm ist von Alexander Jewgenjewitsch Jakowlew (1887 - 1938)


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