Mittwoch, 1. Februar 2023

Felix Grafe: Wundervoll gestirntes Schweigen

 


Wundervoll gestirntes Schweigen
atmet süß in meine Ruh -
sieh: mir wird die Welt zu eigen
und ihr ganzer Sinn bist du.

Wie in kindischem Vergeuden
fing das Leben leuchtend an -
wie in Schmerzen, wie in Freuden
mir das klare Spiel verrann!

daß ich nun sie wiederbringe,
Stunden, Stimmen, tot im Wind,
lausche ich verschlungner Dinge
rätselhaftem Labyrinth -

fühle diesen rätselvollen
Klang von Gassen, Wald und Zeit -
ach: so lange war's verschollen
tief im Meer der Ewigkeit.

Niemals wieder, niemals wieder
kehrt verlornen Lachens Kraft -
und die Stimmen, und die Lieder
bleiben ewig rätselhaft.

Wie in wundervollem Kreise
spiegelnd diese Nacht verrann
und du stehst und schauerst leise:
fremdes Antlitz starrt dich an.

Ja, ich lag an jungen Brüsten
und die Nacht war tief und klar -
nicht in Leiden, nicht in Lüsten
war die Welt mir offenbar -

und ich wollte nicht erwachen,
aber ach, ich bin erwacht.
Stark wie ein korallnes Lachen
drang es in die stillste Nacht.

Schwer an Schmerzen, reich an Lasten
geh ich durch die Welt dahin -
und gleich närrischen Fantasten
such ich sinnlos ihren Sinn.

Lachen, lachen - strahlend nieder
braust der Sonne großer Tanz -
niemals wieder, niemals wieder
kehrt vergessnen Lachens Glanz.

Wie aus wachgeküssten Zweigen
spiegelnd diese Nacht verrinnt -
wundervoll gestirntes Schweigen -
rätselhaftes Lied im Wind -

Bin ich noch ein Kind der Erde?
Sonne stieg aus süßer Nacht -
und mit trauriger Gebärde
grüß ich, die mir göttlich lacht.

Herbst ist durch den Wald gegangen
als ein Mädel, zart und bleich.
Und an ihren jungen Wangen
wird mein dunkles Leben reich.

Ja, an ihren kühlen Brüsten
werden Schmerzen holdes Spiel -
und an ihren nie geküssten
Lippen glänzt ein neues Ziel.

Tausendfach gestirnte Nächte
hüten meine heilige Ruh:
All das Gute, all das Schlechte,
sieh: ihr ganzer Sinn bist du.

Aus: Felix Grafe, Dichtungen, Herausgegeben und eingeleitet von Joseph Strelka
Bergland Verlag Wien 1961

Felix Grafe, geboren 9. Juli 1888 in Humpolec, Österreich-Ungarn; gestorben 18. Dezember 1942 in Wien; eigentlich Felix Löwy) Lyriker und Übersetzer.

Seine ersten Gedichte erschienen 1908 in der Zeitschrift Die Fackel von Karl Kraus. Neben eigenen Dichtungen schuf Grafe Übersetzungen und Nachdichtungen aus dem Englischen und Französischen von William Shakespeare, Oscar Wilde oder Charles Baudelaire. Daneben begründete Felix Grafe die Zeitschrift Anbruch.

Nach dem Ersten Weltkrieg lebte Grafe, wie auch sein Bruder, in Wien. Hier wurde ihm 1941 ein antifaschistisches Gedicht zum Verhängnis, das er für die illegale kommunistische Zeitschrift Hammer und Sichel verfasst hatte. Er wurde im Juli verhaftet und schließlich am 18. Dezember 1942 wegen Zersetzung der Wehrkraft und Vorbereitung zum Hochverrat im Landesgericht Wien in der Landesgerichtsstraße 11 hingerichtet.

Das Bild ist von Nicholas Roerich (1874 - 1947) 

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