Samstag, 11. Februar 2023

Paul Zech: Die Kugel kam geflogen. . .

 


Die Kugel kam geflogen. . .
Da sprang ein Strom heraus so rot.
Die Nacht stieg aus den Wogen
und hob uns in das schwarze Boot.

Die hohlen Ufer klangen
im Wind wie eine Herbstallee.
Gottalte Himmel sprangen,
Äonen riefen: Erde, steh!

Nun stehn wir Hergereisten
erwacht aus zauberischem Traum
und heben die verwaisten
Gesichter auf in soviel Raum.

Und finden uns nicht wieder,
wir sehn nur lauter Licht.
Wir horchen tiefer nieder
und fühlen uns noch immer nicht.

O ihr noch rot in Schlachten
von Rauch und Eisen überballt,
o ihr in nachtdurchwachten
Witwengemächern kalt und alt;

o alle ihr in uns Gelebten,
Urbruder und Urfeind -:
da wir von euch entschwebten
durchstoßen und beweint

und schon verschattet fuhren,
war noch ein Hauch von Mensch und Tier. . .
Jetzt sind die bunten Spuren
gelöscht. Jetzt sind wir nicht mehr wir.

Um uns ist keine Ferne,
von uns geht keine Wiederkehr.
Wir sind nur Mond und Sterne,
wir sind nichts anderes mehr.

Paul Zech - Stimme des Sohnes (wie Gesang durch den Raum, aus: Der Flug in die Sterne, Fragment einer Szene, in Die Weißen Blätter, März 1915
Paul Zech, geboren am 19. Februar 1881 in Briesen (Westpreußen), gestorben am 7. September 1946 in Buenos Aires, bevor er aus dem Exil nach Deutschland zurück kehren konnte. Ab 1904 veröffentlichte er Gedichte in lokalen Zeitschriften, 1909 trat er in Briefkontakt mit Else Lasker-Schüler. Durch sie wurden ihm Publikationsmöglichkeiten in der von Else Lasker-Schülers Ehemann Herwarth Walden herausgegebener Zeitschrift Der Sturm eröffnet. 1912 konnte er Gedichte in der ersten lyrischen Anthologie „Der Kondor“, heraus gegeben von Kurt Hiller, unterbringen. Erfolgreich wurde er mit einem Band Nachdichtungen: „Die Balladen und lasterhaften Lieder des Herrn Francois Villon“. 1933 emigrierte er nach Argentinien, wo er am 7. September 1946 in Buenos Aires verstarb.
Das Bild ist von Hans Baluschek (1870 - 1935), aus dem Album "Krieg" (1914 - 1916)

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