Himmlisch
geboren,
Knieen sie ihren Schmerz in die Erde:
Orphisches Opfer
war ihre Losung.
Güte, o Güte
Schlummert wie Schnee
Um
ihre ruhig offene Lippe.
Todeslächeln tropft um ihr
Wolfsherz.
Sonnige Fackel
Qualmt ihr Gesang in den freienden
Wind.
O ihre Seelen,
Herbe, halbgeöffnete
Knospen
Morgenschimmernden Mandelbaums,
Fallen von den
gebrochenen Zweigen,
Schlagen wie Sterne
In unsre Nacht.
Iwan Goll, aus: Requiem für die Gefallenen von Europa, Kommissionsverlag von Rascher & Cie, Zürich – Leipzig 1917
Gold
War
gerollt In der Nacht,
Und beide, Clo und Gynn,
Tänzerin und
Tänzerin,
Hatten getollt und hatten gelacht.
Aber morgens,
von den Fräcken verlassen,
Fanden ihre blassen
Hände sich . .
.
Morgen weinten Clo und Gynn,
Und sie flohen, Tauben im
Winde,
Bis zur seligen Insel hin.
Und ihr nachtschwarzes
Tanzgewand
Flatterte mit der Nacht über Land,
Dass sie nun
standen wie rosa Wolken,
Dass sie Hände hielten wie Möwen,
Dass
sie Hüften bauschten wie Wellen,
Dass sie Füsse trugen wie
Muscheln,
Dass sie stiegen, morgengross,
Schoss an Schoss.
Yvan Goll, aus: Films (Verse), Verlag der expressionistischen Gedichte, Berlin Charlottenburg 1914
Reise ins Elend
Wie
aber schmerzt die Menscheneinsamkeit,
wenn Landschaften mit
gleichem Leid wie du sich von dir wenden
und in sich selbst
versinken, dir so fremd!
Wenn klein ein Bahnhof dich in kalten
Regen stößt,
ein Güterwagen leer und ohne Zukunft dich
anbettelt.
Da kriecht ein fahler Gaul auf dunklem Acker,
oh,
wenn der wüßte, daß du existierst
und du ihn liebst, ihm würden
Flügel blau zum Himmel wachsen.
Manchmal schaut Wasser auf zu dir
mit großen Augen,
und weil es nicht dein Lächeln sah,
fällt
freudlos es und schal in sich zurück.
So läßt du alles dort
allein. Es reißt dein Schicksal dich dahin.
Die alte Bucklige am
Damm wird ewig nach dir blicken,
untröstlich steht das schreiende
Plakat am schiefen Giebel.
So läßt du alles dort allein in
unerfüllter Liebesdemut
und weißt es doch, daß, Einsamer, dich
eine Stadt erwartet,
in der du weinen wirst die lange Nacht im
billigen Hotel.
Aus der Anthologie Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts, DTV, 1962
Iwan
Goll, auch Yvan Goll, geboren am 29. März 1891 in Saint-Dié,
Frankreich, gestorben am 27. Februar 1950 in Paris, „hat keine
Heimat: durch Schicksal Jude, durch Zufall in Frankreich geboren,
durch ein Stempelpapier als Deutscher bezeichnet.
"Iwan
Goll hat kein Alter: seine Kindheit wurde von entbluteten Greisen
aufgesogen. Den Jüngling meuchelte der Kriegsgott. Aber um ein
Mensch zu werden, wie vieler Leben bedarf es. Einsam und gut nach der
Weise der schweigenden Bäume und des stummen Gesteins: da wäre er
dem irdischen am fernsten und der Kunst am nächsten“. (Iwan Goll
über sich selbst)
„Das
Besondere in Leben und Werk dieses Schriftstellers wird in seinen
Gedichten, Dramen, Romanen und publizistischen Arbeiten deutlich: aus
ihnen spricht die Tragik eines Daseins, das sich nicht erfüllt hat
und nicht erfüllen konnte. Zwar gelang es Goll immer wieder, den
Anschluss an die bewegenden künstlerischen Strömungen seiner Zeit
zu finden, doch wurde er nie zu den ganz „Großen“ gezählt.“
aus:
Ausgewählte Gedichte, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig,
Klappentext, 1982
Verheiratet war Iwan Goll mit der Dichterin Claire Goll, geboren als Klara Aischmann (1890 - 1977)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen