Freitag, 17. März 2023

Alfred Grünewald, aus: Renatos Gesang - Ein Buch der Einsamkeit (1 - 3)

 




Aus: Renatos Gesang - Ein Buch der Einsamkeit

Einkehr

1


Du meine tiefste Heimat: Einsamkeit!
Nun hast du wieder bräutlich mich empfangen.
Nach müder Irrfahrt bin ich voll Verlangen
zurückgekehrt. Du Glanz aus Kinderzeit.

Du Klang der Stille. Lächeln du aus Lied.
Wie wandelt deine sanfte Macht mein Bangen!
Es grüßt der Himmel. Nebel sind vergangen.
Das abendliche Tal ist mondgeweiht.

Und wieder schreit ich, schreite, wie von Schwingen
getragen, in das lauschende Gelände.
Und wieder laß ich mich vom Traum bezwingen.

Schon neigen Sterne sich mit goldner Spende.
Ich heb, ein Trunkener, erlöste Hände.
Du Heimat Einsamkeit, dir will ich singen.

2

Ich fand mich wieder, der ich mich verlor,
kann mit mir selber wieder Zwiesprach pflegen.
Ich bin bei mir. Ging lange mir entgegen
und fand in meines Herzens offnes Tor

die Stunde der Verheißung. Jedes Regen
von Blatt und Blüte trifft mein waches Ohr,
wenn Abendwind den tiefsten Duft erkor.
Ich kann die Welt als mein Geheimnis hegen.

Wo weilte ich, als Tage mich beschwerten,
und Nächte müde waren und vermummt
in nächtigeres Dunkel; alle Gärten

verschlossen waren und mein Lied verstummt?
Mir ist so mild. Es tönt dem Heimgekehrten
des Baches Raunen. Eine Biene summt.

3

So ruhevoll ist diese Zeit, Es gleiten
die Tage mir vorbei und sind ganz licht.
Und auch in meiner Nächte Angesicht
seh ich ein Leuchten sich dem Tag bereiten.

Ich tret zum Tor hinaus. Die Wiesen breiten
sich weit ins Tal, Ein blumiges Gedicht
les ich von ihrem Teppich. Tönte nicht
das Lied, das ich erfand, schon durch die Weiten?

Seht, was ich singe, ward vorausgedichtet
von Wiesen und von Wolken eh und je.
Nur zum Empfange hab ich mich gerichtet,

da kam mein Lied geflogen übern See.
Und alles Dunkel hat sich mir gelichtet,
daß ich der Worte Heimlichchstes versteh.

Alfred Grünewald, Verlag Paul Stern, Wien 1921

Alfred Grünewald wurde am 17. März 1884 in Wien geboren. Nach den Novemberpogromen 1938 wurde er am 14. November 1938 in das KZ Dachau verbracht, im Januar 1939 wurde er wieder entlassen. Er floh über die Schweiz nach Südfrankreich, nach Kriegsausbruch wurde er in der Fort-Carré in Antibes und im Lager Les Milles interniert, bis Herbst 1942 lebte er in Nizza. Dort wurde er von der Polizei des Vichy-Regimes festgenommen und an die SS ausgeliefert. In Auschwitz wurde er am 9. September 1942 ermordet.

Die Illustration ist aus einem französischen Alchemiebuch des 17. Jahrhunderts, Autor unbekannt.

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