Mittwoch, 1. März 2023

Lotte Brunner: An C. B. / An Piet

 



An C. B.

Wann ich auch bei dir war, so wollt´ ich sprechen.
Und gab doch nichts als Schwatz, der nur betäubt.
Erscheint dir denn, von Worten überstäubt,
Das Unversehrte zwischen den Gebrechen?

Ein Götterbild schläft unter meinem Leben,
Und immer reicht mein Blick zu diesem Grund.
So wie der Atem weht aus seinem Mund,
Seh ich Gestalten um Gestalten schweben.

Dann schwatz ich nicht, dann rinnt mein großes Weinen,
Wenn ich am tiefsten mich hinunterbiege,
Wenn ich erkenne, daß die Götterzüge
Vermischen deine Linien mit den meinen.

März 1936


An Piet

Mein Leben war wilder
Als mein Gemüt. Du Milder
Setztest die Wage gleich.
In deinem Reich
Wird nichts verschüttet
Und nichts zerrüttet. -
Dennoch mein großer Ungerechter:
Aus Trotz Verächter
Der Worte,
Mörder von Lob und Dank.
O laß mich bitten, da ich nun krank:
Hilf sanft mir schließen jene letzte Pforte!

28. März 1940

Lotte Brunner (1883-1943), Lehrerin und Schriftstellerin, aus: Gedichte 1903 - 1942, handschriftliches Manuskript, Leo Baeck Institute, New York

Der Stiefvater von Lotte Brunner war Constantin Brunner (geboren am 27. August 1862 in Altona; gestorben am 27. August 1937 in Den Haag), eigentlich Arieh Yehuda Wertheimer (Rufname Leo), Philosoph, Schriftsteller, Literaturkritiker.

1895 heiratete er Rosalie, geb. Auerbach, die sich künftig Leonie nannte, in Anlehnung an Brunners Rufnamen Leo. Mit ihrer Tochter Elise Charlotte, geb. Auerbach, die fortan den Namen Lotte Brunner trug, verband Brunner später ein intensiver Austausch über Literatur und Philosophie. Lotte Brunner veröffentlichte unter dem Pseudonym E. C. Werthenau und führte von 1903 bis 1932 ein Tagebuch über Bemerkungen Brunners zu seiner Philosophie und über Besuche und Gespräche im Hause Brunners. Leonie und Lotte Brunner wurden im Februar 1943 im Lager Westerbork inhaftiert und im März 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet.

Das Bild ist von Odilon Redon (1840 - 1916)

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