Samstag, 4. März 2023

Rudolf Leonhard: Die Landschaft des Malers Franz Marc / Else Lasker-Schüler: Franz Marc

 



Die Landschaft des Malers Franz Marc

Wie treib ich unbehelligt von den Schweren
sinkender Nacht, und schweige! Ich empfinde
den weichen Fernendruck der neuen Winde:
an Ufern brüllt es auf aus niedern braunen Herden.

Aus schwarz von Rauch umstobenen Bahnhöfen,
erhellt als schon das Tor des Paradieses,
erstehn zu Wolken, stoßen, schreien Möwen.
Ich zittre vor dem Huschen eines Wiesels -

Zu Ungeheuern ausgeweitet, bauen Arbeitskähne
die Horizonte meines Kupferbootes.
Dicht schließt die Luft, nur Schatten sind die Schwäne,
blau im Gesang des Friedens und des weiten Todes.

Was jagt vorbei: flammendes Pferd? gefleckter
       Schatten eines Hundes?
Süße Erinnerung des Tages und vergeßnen Lasters -
da überweht die Muskeln meines Mundes
Geruch der Tiefe, fauliger Hauch des Wassers.

Entrückt der Zeit, zerstoben schon die Stunden
schwerfarbig hin. Und aber kommt gewohntes
Anschaun blutender Nacht im Licht des schweren Mondes.

Rudolf Leonhard, geboren am 27. Oktober 1889 in Lissa, gestorben am 19. Dezember 1953 in Ostberlin, aus: Die weißen Blätter, Februar 1916, einen Monat vor dem Tod von Franz Marc

Franz Marc

Der blaue Reiter ist gefallen, ein Großbiblischer, an dem der Duft Edens hing. Über die Landschaft warf er einen blauen Schatten. Er war der, welcher die Tiere noch reden hörte; und er verklärte ihre unverstandenen Seelen. Immer erinnerte mich der blaue Reiter aus dem Kriege daran: es genügt nicht alleine, zu den Menschen gütig zu sein und was du namentlich an den Pferden, da sie unbeschreiblich auf dem Schlachtfeld leiden müssen, gutes tust, tust du mir.

Er ist gefallen. Seinen Riesenkörper tragen große Engel zu Gott, der hält seine blaue Seele, eine leuchtende Fahne, in seiner Hand. Ich denke an eine Geschichte im Talmud, die mir ein Priester erzählte: wie Gott mit den Menschen vor dem zerstörten Tempel stand und weinte. Denn wo der blaue Reiter ging, schenkte er Himmel. So viele Vögel fliegen durch die Nacht, sie können noch Wind und Atem spielen, aber wir wissen nichts mehr hier unten davon, wir können uns nur noch zerhacken oder gleichgültig aneinander vorbeigehen. In dieser Nüchternheit erhebt sich drohend eine unermeßliche Blutmühle, und wir Völker alle werden bald zermahlen sein. Schreiten immerfort über wartende Erde. Der blaue Reiter ist angelangt; er war noch zu jung zu sterben.

Else Lasker Schüler (1869 - 1945), aus: Franz Marc, in Gesammelte Gedichte, Verlag der weißen Bücher, Leipzig 1917

Franz Marc, geboren am 8. Februar 1880 in München; „gefallen“ am 4. März 1916 in Braquis bei Verdun, Frankreich. Er gilt als einer der bedeutendsten Maler des Expressionismus in Deutschland. Neben Wassily Kandinsky war er Mitbegründer der Redaktionsgemeinschaft Der Blaue Reiter, die am 18. Dezember 1911 ihre erste Ausstellung in München eröffnete.

Das Bild: Franz Marc, 
Tierschicksale (Die Bäume zeigten ihre Ringe, die Tiere ihre Adern), 1913

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