Hölderlin an Diotima
Du bist so gut.
Du riefst den Heimatlosen.
In Deine kerzenhellen Säle riefst Du ihn.
Nahmst, Liebliche
den Wüstenstaub
von der durchstürmten Brust,
und richtetest den Pilgrim zärtlich auf.
So kniete ich,
der immer Suchende,
und schloß die Augen;
denn das Glück, es blendet.
Und alle Deine Lampen brannten heller.
Und alle Deine Blumen sagten Süßes.
Und alle meine Sehnsüchte verstummten.
Und wußten nichts mehr voneinander, - nichts!
Denn Du warst da.
Und keines noch.
Nur Du.
Wie unermüdlich jung ist Dankbarkeit!
Die Gabeselige. Die immer Frohe.
Die süße Wurzel, die die tausend Keime
ihr anvertraut, in wenig Tag und Nächten
empor in Stamm, und Ast, und Knospe drängt,
daß sich die Zweige rosenübersät,
Dir bücken,
und samtne Früchte, purpurn, und voll Schmelz
in gleichem Atemzuge sich an Dich verlieren.
Kennst Du die holden Boten?
Kennst Du sie?
Staunen. Hingebung. Die gläubige,
die Demut.
Und noch unbewußt
das königliche Kind,
die Liebe?
Ach, wer liegt, wie ich
in Hunderten von stummen Nächten,
und schickt sie aus zu Dir.
Und schickt, und schickt!
Oh, bleibe, wie Du bist!
So liebend, und geliebt.
Du bist so klar, gelassen, wonnesam,
wie Deine rosenseidnen
Gewänder durch den Sommergarten gehn.
Auf welchen Sternen sind wir uns begegnet!
Du, mir vertrauter,
als mein eigen Haar, und Hand, und Angesicht?
Ein Keim,
und eine holde Schale hat
uns die Entfaltung Brust an Brust gestaltet.
Sag mir, Natur,
wo brachst Du unsre Schale?
Du Neidische!
Wie hast Du uns getrennt!
Darf ich auch niemals mehr als Freund Dir sein,
ich hab nur Dank. Ich habe keine Träne.
Ich baue meine Schmerzen in mir auf
zu einem Gnadenbilde,
das mich beschenkt.
Oh, edles Feuer meiner Lieder überwachse
den Sterblichen!
… wie unermüdlich jung ist Dankbarkeit.
Aus: Frida Bettingen Gedichte. Bei Georg Müller München 1922
An Diotima
Fliegen die Zweige des Hains,
Wie die Locken im Tanz; und wie auf tönender Leier
Ein erfreulicher Geist,
Spielt mit Regen und Sonnenschein auf der Erde der Himmel;
Wie in liebendem Streit
Über dem Saitenspiel ein tausendfältig Gewimmel
Flüchtiger Töne sich regt,
Wandelt Schatten und Licht in süßmelodischem Wechsel
Über die Berge dahin.
Leise berührte der Himmel zuvor mit der silbernen Tropfe
Seinen Bruder, den Strom,
Nah ist er nun, nun schüttet er ganz die köstliche Fülle,
Die er am Herzen trug,
Über den Hain und den Strom, und - - - -
- - - - - - - - - - -
Und das Grünen des Hains, und des Himmels Bild in dem Strome
Dämmert und schwindet vor uns
Und des einsamen Berges Haupt mit den Hütten und Felsen,
Die er im Schoße verbirgt,
Und die Hügel, die um ihn her, wie Lämmer, gelagert
Und in blühend Gesträuch
Wie in zarte Wolle gehüllt, sich nähren von klaren
Kühlenden Quellen des Bergs,
Und das dampfende Tal mit seinen Saaten und Blumen,
Und der Garten vor uns,
Nah und Fernes entweicht, verliert sich in froher Verwirrung
Und die Sonne verlischt.
Aber vorübergerauscht sind nun die Fluten des Himmels
Und geläutert, verjüngt
Geht mit den seligen Kindern hervor die Erd aus dem Bade.
Froher lebendiger
Glänzt im Haine das Grün, und goldner funkeln die Blumen,
- - - - - - - - - -
Weiß, wie die Herde, die in den Strom der Schäfer geworfen
- - - - - - - - - -
Friedrich Hölderlin (20. 3. 1770 - 7. 6. 1843)
Frida Bettingen (* 5. August 1865 in Ronneburg; † 1. Mai 1924 in Jena; geborene Frida Reuter), Schriftstellerin, expressionistische Lyrikerin.
Die Familie lebte 24 Jahre bis zum Tod von Franz Bettingen in Krefeld, danach zog sie nach Jena. Dort studierte Bettingens Sohn Philologie. Er starb 1914 im Ersten Weltkrieg, was bei Frida Bettingen zu schwerwiegenden psychischen Problemen führte. Ab 1917 hielt sie sich mehrmals in Sanatorien auf. 1923 wurde sie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Zwischen diesen Aufenthalten war es ihr jedoch möglich, ein weitgehend normales Leben zu führen. Sie schrieb Gedichte, wobei die Inspiration dazu hauptsächlich aus ihrer Trauer und Verzweiflung als Mutter entsprang. Erst mit diesem Spätwerk nahm sie, gefördert von Wilhelm Schäfer, an der expressionistischen Bewegung teil.
Das Bild ist von Wassily Kandinsky (1866 - 1944)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen