Der Platz
Ich wag nicht mich zu regen. Doch der Platz
dreht leise sich in meine weite Brust.
Im innern blüht mir weiß und unbewusst
der hohen Bogenlampen langer Satz.
In ihrer Mitte schweb ich lächelnd auf.
Aus meinen Händen fällt ein schmaler Regen
auf bunter Bahnen glückliches Bewegen,
und viele Menschen blicken still herauf.
Ich aber sauge aus beglänzten Läden,
aus Mensch und Haus, Getier und Untergrund,
der schwirrenden Gefühle Silberfäden.
Tief in sie eingehüllt bin ich ganz bunt
und wunderbar erlöst und ohne Schäden,
und kreise wie ein Mond am Himmelsrund.
Walter Rheiner, aus: Die Aktion 1915
Walter Rheiner, eigentlich Walter Heinrich Schnorrenberg, geboren am 18. März 1895 in Köln; gestorben am 12. Juni 1925 in Berlin-Charlottenburg), Schriftsteller des Expressionismus.
Als er 1914 zum Kriegsdienst berufen wurde, nahm Walther Rheiner erstmals Rauschmittel – er gab damit vor, drogensüchtig zu sein, um der Wehrpflicht zu entgehen. Trotz dieses Umstands wurde er eingezogen und mit Beginn des Ersten Weltkrieges an die russische Front beordert. Eine Entziehungskur scheiterte, sein Täuschungsversuch kam 1917 ans Licht, worauf er vom Dienst suspendiert wurde und nach Berlin übersiedelte. Aus seinem anfänglich gemäßigten Drogenkonsum entwickelte sich jedoch mehr und mehr eine Sucht nach Kokain und Morphinen, die ihm letztendlich zum Verhängnis wurde. In einer armseligen Unterkunft in der Charlottenburger Kantstraße setzte er seinem Leben am 12. Juni 1925 im Alter von 30 Jahren mit einer Überdosis Morphin selbst ein Ende.
Das Bild ist von Walter Gramatté (1897 - 1929)
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