Der Kuss
Das war ein Kuss: es freuten sich die Tannen,
Dass ihnen Thränen aus den Augen rannen.
Bald wusste es der ganze tiefe Wald:
So kräftig hat noch keiner je geschallt,
Seitdem Verliebte in sein Reich gedrungen;
Die Vögel, die ein altes Lied gesungen,
Die sangen von dem Kusse weit und breit,
Der Kuckuck schwieg nur und verging vor Neid.
Die Bäume drängten ihre Äste vor
Und mahnten sie, das Pärchen zu belauschen
Und, heimlich horchend, nicht zu laut zu rauschen.
Die Käfer summten manches sich ins Ohr,
Von denen hörte es ein Schmetterling,
Den ich von ungefähr im Walde fing.
Ein Schwätzer das! ich liess’ ihn frei auf Ehre,
Wenn ich der Held der Waldgeschichte wäre.
Emil Faktor, aus: „Die zehnte Muse - Dichtungen vom Brettl und fürs Brettl“, herausgegeben von Maximilian Bern, Berlin 1904
Emil Faktor, geboren am 31. August 1876 in Prag, gestorben am 10. April 1942 im Ghetto Litzmannstadt; Pseudonym: Jussuf), Theaterkritiker, Redakteur und Schriftsteller.
1933 floh er mit seiner Familie in die Tschechoslowakei, wo er als Journalist und Kritiker für das „Prager Tagblatt“ und den „Prager Mittag“ tätig war. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen wurde ihm von amerikanischer Seite trotz eines vorhandenen Affidavit die Einreise verweigert; 1941 wurde er ins jüdische Ghetto Lodz deportiert und kam dort zu Tode
„Eine bedeutende Rolle spielten Affidavits während der Zeit des Nationalsozialismus. Familienangehörige, Freunde und qualifizierte Organisationen in Staaten außerhalb Deutschlands (nach dem Anschluss außerhalb Deutschlands und Österreichs) konnten mit einer beglaubigten Bürgschaftserklärung Verfolgten die Einreise in Überseeländer (Vereinigtes Königreich, USA) ermöglichen, die dadurch der nationalsozialistischen Verfolgung auf dem Kontinent entkamen.“ (Wiki)
Das Bild ist von Henri Bellery-Desfontaines (1897 - 1909)
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