Donnerstag, 26. Januar 2023

Hugo Salus: Acherontische Sizilianen

 


Acherontische Sizilianen

1.

In meine Hände, wenn ich einmal sterbe,
Legt eine volle, blühende Guirlande,
Und diesen Wunsch erfülle mir mein Erbe!
Daß an des Acherons tiefernstem Strande
Ich mir der Fahrtgenossen Gunst erwerbe,
Erschein´ ich heiter, Rosen am Gewande;
Daß Charon lächeln muß, der düster-derbe;
Und daß sich mein Empfang, wenn ich dort lande,
Vom Widerscheine meiner Blüten färbe. . .

2.

Wo düstre Schroffen in die Wolken drohn,
Wo sich die Meere in den Styx ergießen,
Sah ich vom Felsen in den Acheron
Noch muntre Bächlein schäumend niederschießen,
Noch kalt vom Quell, dem Dunkel kaum entflohn.
Ein Kindlein spielt im Sand zu meinen Füßen,
Nun sprach es: „Ach, wie schad! Wir fahren schon;
Ich möchte noch zuschaun, wie die Bächlein fließen!“

3.

Der Schatten eines Mönchs war mit im Boot,
Drauf sich nun dicht der stygische Nebel breitet.
Da sprach der Mönch: „Ich starb geweihten Tod,
Mir ward am Kreuz das ewige Heil bereitet.
Gieb mir das Steuer, heidnischer Pilot,
Mein Ferge steht bei mir, der mich geleitet.“
Sprach Charon, der ihm mild das Steuer bot:
„Dies ist der Kahn, der ohne Steuer gleitet. . .“

4.

Nun gleiten wir schon ungezählte Jahre
Und sehn noch endlos sich die Wasser breiten.
Von Charons Ruder in die dunkel-klare,
Bewegte Flut sehn wir die Tropfen gleiten
Und sehn sie werden und ins dunkelklare
Und leis bewegte Wasser niedergleiten.
Und dieses ist das große, wunderbare
Mysterium des Tods: wir gleiten, gleiten. . .

Aus: Der Spielmann, ein Jahrbuch deutscher Dichtung, Berlin 1902

Hugo Salus, geboren am 3. August 1866 in Böhmisch-Leipa; gestorben am 4. Februar 1929 in Prag.

„Salus ist den meisten Lesern besser aus Beiträgen für die `Jugend` und andre Zeitschriften bekannt als aus seinen Gedichtsammlungen. Das ist schade, denn gerade seine schönsten Gedichte eignen sich nicht für Zeitschriften, und die sich dafür eignen, verzerren sein dichterisches Bild. Er ist ein Sänger und ein Bildner, und die Beimischung des goldigen Humors gibt keinen schlechten Dreiklang. . .“

Karl Kraus

Das Bild "Charon and Psyche" ist von John Roddam Spencer Stanhope (1829 - 1908)

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