Endlichkeitsgesang
Wir sind die Stummen. Schlafe dorren in Reif.
Wir sind die Bäume, wurzelnd in Menschenherzen,
blättern zersprungen und verdorren in Blut.
Wir ranken lähmend über Schädel,
tasten Gebeine und späte Augen,
sinken ästelnd in die Verschlingung des Hirns.
Wir sind die Stimme totenstiller Nacht,
liegen wie Monde bleich Ober Hände gebreitet,
wir sind zerworfen, irrend versunken
ins Grab.
Leuchten die Katarakte silbriger Wässer,
stürzen die Himmel strahlig und wölben Meer,
wehen die Winde um versunkene Namen,
rufen die Kreuze, tief unter Steinen gebettet?
Waren das Ave einer versunkenen Reue,
glosten über Beter als Wiederschein,
knieten im Falten toterstarrter Fäuste,
streuten uns Sonne über Häupter besternt.
Sinken, versinken Trotze als fortgeworfen.
Form gebar Kampf. Kämpfe zerlösten den Tod.
Spielte das Leben Liebe:
flattert der Tod.
Warfen sich Sehnen in Raum;
starrte der Tod.
Griffen Äste den Bettler, fetzte die Weite,
drangen sich Kälten zwitschernd in rotrinnende Qual,
betete Wirrsal: lieber Bruder Tod.
Wir wollten leben!
Brachen auch Vesten im Strudel,
spaltete neu das Jahrhundert Leiden und Schrei.
Wir wollten geben, Wolken und Göttern dienen,
wollten verschweben im Sammet der letzten Erkenntnis.
O, um die Dörfer, gestreut wie Blätter im Herbste,
fielen auch Stürme und zerfraßen sie.
Tranken das Wimmern auf zerbrochener Tiere,
äugten in Flammen, kohlten zu schwarzem Staub.
O, um die reifen Sommer,
sprangen die Scheuer, flammten golden die Freuden,
kränzte der Mohn singende Knaben und Mädchen,
schwangen leuchtende Garben segnenden Lichts.
Trommelte Schrecken,
stemmte das Drohen vom Turm?
Wir verschwangen in Starre und bargen den Ton
röchelnder Wut tief im Gesetz des Schreitens.
Schritten Millionen Beine ins singende Land,
rammten die Feuer Sturm, pflanzte der Brand
prangende Schönheit trunkener Wut in Nacht.
Schritten Gehirne müßig und fielen in Feuer,
schritten die Wälder wirbelnd in Talgesenke,
schritten die Berge und sprangen Felsen nach,
schritten die Ströme, türmten die Wogen den Stein,
schritten die Sterne und rasselten in die Schlacht.
O, der du atmest,
suche die kleine Blume, die Unschuld' im Blut.
Der du in Lungen Atem des Winds verspürst,
beuge dich
über die Stätten, da kam das Gericht.
Faltet die Rinde geborstene Städte und ebnet sie ein,
fließen die Meere wolkwärts und pendeln zum Bett,
suche lebender Mensch
Pyramiden der Brüder.
Waren ein Morgen wie du und zuckten zur Sonne,
hatten die Freuden und sehnten nicht um das Leid,
suche die faulenden Scherben der atmenden Einheit.
Waren geboren ein Frührot im Ewigschrei.
Hatten das zuckende, fiebernde, pulsende Pochwerk
ihres Herzens nie so in Elend gegraben!
Seelen Millionen
starben und legten sich nieder.
Ober die Garben wogte Sense und brach.
Über die grünen Wellen des Waldes wälzte
Strom von Gedärmen und zerbog die Gipfel.
Gehe zur Wiese, Auge innerster Ruhe,
ach das Sterben spellte und löschte ihr Sprühen,
Gebirge von Schädel sanken und schlafen geknäult.
Wir sind die Stummen,
in klafternde Schichten der Erde gesenkt.
Wir sind die letzten verbluteten Gewissen.
Konnten nicht weinen und fielen in Flucht,
starren aus leeren Höhlen in leere Himmel.
Waren in Wagen und Schiffen Wandrer und suchten.
Waren Geschweifte bunter denn alle Moscheen.
Ketteten Leiber an Eisen und decken die Weite.
Sprangen zerknallt
jauchzend empor und zerstoben!!
Nun sind wir kleine weiße Wurzeln geworden.
Und blinken in blauen Seen, die sind unsere Augen.
Und wuchsen in Türme und schlugen den Müden Frieden.
Nun sind wir der silberhelle Bach,
nun sind wir das Glück und eine Sternenblume.
Aus: Walter Petry – Angst und Erlösung Verse Der Zweemann Verlag, Hannover, 1920
Walter Petry, geboren 9. 8. 1898 in Magdeburg, gestorben am 21. 7. 1932 in Berlin, Dichter und Schriftsteller.
Der in Magdeburg geborene Petry verlebte seine Kindheit in Danzig und nahm 1917/18 als Soldat am I. Weltkrieg teil. Nach Philosophie-Studium und Promotion lebte er – meist in beengten Wohnverhältnissen und in finanzieller Not – als freier Journalist, Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer in Berlin. er übersetzte anspruchsvolle Texte von Apollinaire, Lautreamont, Mallarmé, Valèry, Alfred Jarry, Leon-Paul Fargue sowie Marcel Prousts Erzählung “Violanthe” aus “Les plaisirs et les jours” und arbeitete danach im Kreis der Proust-Übersetzer des Verlags Die Schmiede. Ergebnisse eigener lyrischer Arbeit legte er 1930 in “Das Ich. Gedichte in odischer Art” vor. Eine vom Propyläen-Verlag geplante Sammlung seiner Übersetzungen sowie eine Sammlung von Prosatexten wurden nicht realisiert. Er starb an den Folgen eines Autounfalls.
Das Bild ist von Georges Lacombe (1886 - 1916)
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