Donnerstag, 26. Januar 2023

Oskar Panizza: Wo bist Du, Deutschland? / O Musen flieht. . .

 


Wo bist Du, Deutschland?
O, in Deinen Tannen
der dunkle und geheime Flüsterwind,
in dem du deine Seele auszuspannen
gewohnt, und der so freundlich und so lind,
er rauscht nicht mehr –
die Geister all entrannen
vor einem Nordwind eisig und geschwind...
Du Büffelherde, trotzig-ungelenke,
die durch die Wälder raset mit Gestank,
folgst heute einem einz'gen Stier zur Tränke,
und dieser Stier ist geisteskrank.

- - -

O Musen flieht aus dem Bereiche
der deutschen Pickelhaube fort,
schürzt Euch, und flieht aus seinem Reiche,
wo man Euch knebelt Reim und Wort –
das Veilchen und die deutsche Eiche
gedeihen auch an and'rem Ort [...].

Oskar Panizza (1853  -  1921), aus: Parisjana. Deutsche Verse aus Paris. Zürich: Verlag der Züricher Diskußionen 1899

"Oskar Panizza. Diesen Mann kennen heute nur noch ganz wenige, und auch seine Bücher sind größtenteils vergriffen, und er selbst lebt in Franken in einem Irrenhaus. Dahin brachte man im Jahre 1904 den Dr. Oskar Panizza, der wohl, als er noch bei Verstande war, der frechste und kühnste, der geistvollste und revolutionärste Prophet seines Landes gewesen ist. Einer, gegen den Heine eine matte Zitronenlimonade genannt werden kann und einer, der in seinem Kampf gegen Kirche und Staat, und vor allem gegen diese Kirche und gegen diesen Staat, bis zu Ende gegangen ist. Goten und Römer haßte er gleichmäßig, und er haßte sie mit einer Inbrunst, einer Kraft und einem so starken Gefühl, dass die Flammen von damals noch heute zu uns herüberschlagen und uns ansengen, als habe man sie heute angezündet. Für seine Komödie ›Das Liebeskonzil‹ wanderte Oskar Panizza anderthalb Jahre wegen Gotteslästerung ins Gefängnis – und abgesehen davon, dass man den § 166 des deutschen Strafgesetzbuches, der da die Gotteslästerer verdammt, abschaffen sollte: dieses Urteil traf gewiß keinen Kleinen, denn er hatte die Faust zum Himmel hinauf geschüttelt und Gott wirklich gelästert –, weil der die Syphilis erfunden hatte. Es gibt keine Stelle in dem gesamten Schaffen Wedekinds, die an Kühnheit und Große an diese Szenen heranreicht.
Im Gefängnis schrieb Oskar Panizza allerhand Dialoge und Verse, und als er dann entlassen wurde, ging er nach Paris. Von dem, was er damals im Jahre 1896 – also vor vierundzwanzig Jahren – über sein Land und über sein Volk geschrieben hat, ist uns einiges auf bewahrt."

Aus: Ignaz Wrobel (Kurt Tucholsky) "Oskar Panizza", Freiheit, 11.07.1920.

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