Hamburg
Ich bin die Stadt. Ich bin aus Stein lebendig
Wie ihr aus Fleisch und wie der Baum aus Holz.
Ich aber wuchs aus meiner Form unbändig,
Ich wurde eigenwillig, eigenhändig,
Mich wie ein Weichtier wandelnd, unbeständig
Und mit der Willkür eines Trunkenbolds.
Bald flocht ich, auf gehäuften Reichtum stolz,
Durch meine breite Straßenflucht inwendig
Die Politur des Glases und des Golds.
Bald zog ich arm und bettelhaft zerfetzt
Des Nebels Mantel fröstelnd um die Fronten,
Die ihren Mörtel nicht mehr halten konnten,
Von allem Schmutz der Schmutzigen benetzt
Und wie von fremden, kalten Horizonten
Aus Not und aus Verlegenheit zuletzt
Auf dieses Hafens schlechten, unbesonnten
Abhub und Kehricht aus dem Weg gesetzt.
Für viele Fremde bin ich nur der Markt.
Kaum einer achtet, ob ich ihm gefalle,
Und für die Hastigen, Gehetzten alle
Bin ich notdürftig nur und abgekargt
Ein Hafenkai und eine Bahnhofshalle,
Und sie verweilen, wie ein Auto parkt.
Noch andere kommen, um mich zu beäugen.
Sie möchten sich von meiner Gegenwart
Mit ihren eigenen Augen überzeugen,
Und das Geringste bleibt mir nicht erspart.
Sie buchen als gewissenhafte Bucher
Kunsthalle, Uhlenhorst und Hafenfahrt,
Wo Lessing schrieb, wo Brahms geboren ward,
Sie treiben mit der Zahl der Stunden Wucher,
Sie stöbern durch die Steine, Stück für Stück,
Und lassen mich so ausgeleert zurück
Wie ein Museum hinter dem Besucher.
George A. Goldschlag, geboren am 14. August 1896 in Berlin, gestorben am 29. Juni 1934 ebenda.
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