Donnerstag, 26. Januar 2023

Josef Adolf Bondy: Wannsee / Tot

 


Wannsee

(Am Grabe Kleists)

Es wächst ein Schloß in grüner Höh'
Und sieht herab,
Und sieht in Sand ein graues Dichtergrab –
Und zwischen beiden ruht der See.

Und aus dem Grab ein Eichenbaum
Zur Freude strebt
Und über alle Wippel hoch sich hebt;
Das ist des Toten klagender Traum.

Die Eichenkrone schüttelt Weh.
Sie schaut das Schloß,
Darauf das Blut der Abendsonne floß – –
Und zwischen beiden dunkelt der See.

Aus: Deutsche Arbeit, Jg. 5-1, 1905/06

Tot

Ich legte dich ins Leichenhemd
Voll Inbrunst, und ich fühlte,
Wie mir dein nasser Leib so fremd
Die heißen Hände kühlte.

Und meine dunkle Angst um dich,
Die mich an dich gekettet,
Entschwebte: groß und priesterlich
Lagst du dahingebettet.

Von mir, von uns, von allen frei,
Durchsonnt von fernem Frieden,
Sogar von meinem Schmerzensschrei
Durch eine Welt geschieden.

Josef Adolf Bondy, geboren am 23. 6. 1876 in Prag, gestorben am 20. 12. 1946 im Exil in London, Lyriker, Journalist und Theaterkritiker. Unter anderem gab er 1897 zusammen mit Alfred Guth 1897 die Sammlung „Moderne Dichtung" heraus.

Das Ex Libris ist gestaltet von Hugo Steiner-Prag, (geb. 12. 12. 1880 in Prag, gestorben 10. 9. 1945 in New York) 

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