Donnerstag, 26. Januar 2023

Karl Schloß: An einem Grabe

 


An einem Grabe

Tief unter den Wipfeln der Sommernacht
Wie ist das Gras so weich - o weißt du es noch?
Es zog ein Weg wie im Märchen
Durch die verdämmernde Pracht.

Das Feld um den schlafenden Garten,
Wie es lag zu den Höhn - o weißt du es noch?
Bedeckt mit Traumgetön
Rings um den schlafenden Garten -

Wie wir im Grase lagen,
Wie war dein Lachen voll - o weißt du es noch?
Wie war dein Herz von Lachen voll,
Wie schlugs an meinem mit Behagen -

Wie drücktest du das Gras so tief
Und ruhtest mir in vollen Armen -
Wie ruhten wir in Lusterwarmen,
Wie drückt ich dich ins Gras! Wie stieg - o weißt du es noch?

Der runde lichte Sommermond
Herauf mit dämmerndem Gesange -
Kornähren küssten ihm die Wange,
Dem runden lichten Mond.

Wie voll von Kornfeldern
Die Höhe ging . o weißt du es noch?
Wie der Wind ging
Vollatmend in den Kornfeldern -

Wie an den Nußbäumen
Die Blätter im Mondlicht gingen - o weißt du es noch?
Wie uns Welten vergingen,
Ruhend im Gras unter Bäumen -

Wie war dein goldenes Haar Gesang,
Wie war dein Mund, dein Aug, dein Arm - o weißt du es noch?
Gesang der Liebe so laut und warm ,
Wie war dein Blick Gesang - -

Wie lang uns zu Häupten glühte
Die weite Sommervollmondnacht -
O du, unter Cypressen
O du, die mich und alles vergessen . weißt du es noch?

Aus: Die Insel, 1. Jahrgang 1899 – 1900

Karl Schloß, geboren am 6. 1. 1876 in Framersheim, gestorben am 3. 1. 1944 in Auschwitz, Unternehmer und Schriftsteller. Er verkehrte in Münchner Bohème-Kreisen und veröffentlichte in diversen Literaturzeitschriften literarische Texte. 1910 gab er seine literarischen Aktivitäten aus wirtschaftlichen Gründen auf und ging nach Alzey, um in der Zigarrenhandlung seines Vaters Adolph Schloß († 1918), die ab 1912 auch über eine eigene Fabrikation verfügte, zu arbeiten und sie nach dessen Tod zu übernehmen.

1937 gelang Karl Schloß und seiner Frau Rosel die Flucht in die Niederlande, wo sie in Den Haag lebten.Im Herbst 1943 wurden Schloß und seine Frau von der Gestapo verhaftet und nach Darmstadt gebracht. Da beider Ehe nach den Nürnberger Gesetzen als „privilegierte Mischehe“ galt, die den jüdischen Ehemann vor der Deportation schützte, drängten die nationalsozialistischen Behörden Rosel Schloß zur Scheidung, was sie jedoch ablehnte. Beide Eheleute wurden zu Lagerhaft verurteilt und starben Anfang 1944, jeweils kurz nach ihrer Einlieferung ins Konzentrationslager, Karl Schloß in Auschwitz, Rosel Schloß am 6. Januar 1944 in Ravensbrück.

Das Bild ist von Alexandre de Rique, (1856 - 1920)

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