Samstag, 28. Januar 2023

Reinhard Sorge: Aus dem Nachlass / Das Mädchen

 


Abendgang

Ich ziehe hin im Abendgang,
Der Tag hat sich geneigt, gesunken
Das Licht. – Und Frieden –

Genug, daß ich den Sang gehört
Von einem Vogel, süß in Frieden –,

Daß der Geliebte mich betört,
Und ich aus Seinem Aug getrunken.

Abendlied

Stille sinkt
Die Welt in Ruh,
Ihre Lider
Tut sie zu.
Meiner Seele
Nachtstern blinkt,
Meiner Seele
Lichtherr blinkt.
Tag versinkt und
Ruhe scheint,
Liebe trinkt und
Christus weint
Um die Seele,
Die Er einte,
Sich und Gott und
Hoch vereinte.

Güte

Du hast so ganz unnahbar süß
Des Lichtes Glück an Dich gezogen,
Du leis gebückt von übergroßer Fülle,
Umgibt Dich Licht so wie ein Hof –.
Nun neigst Du herbe Dich im Scheinen
Und lächelst zu –

Sehnsucht

Wie eine Wolke im Blauen
Zieht die Inbrunst zu dir –
O du liebste der Frauen,
Wann verbindst du dich mir?
Wie ein Gipfel gen Sonne
Klimmt die Seele voll Drang –
Wann, o zarteste Wonne,
Kommst du Steige entlang?
Wie eine Harfe im Düstern
Klingt das Herz mir geheim –
Wann aus sehnendem Flüstern
Lockst du Töne und Reim?

Aus: Johannes Reinhard Sorge: Nachgelassene Gedichte, Vier Quellen Verlag, 1925

Lebendige, du schüttest mir mehr Wunder
Als Stern und Meer. Der Einsame schenkt jenen
Hauch, Hall und Art von seinem Dichttum, deutet
Sie seiner Ahnung nach. Gewand und Klang
Sind sein, wenn sie durch obere Sphäre schreiten:
Sterne und Meer. Du bietest mir den Frühling
Im Kleid des andren Wesens mit Gesang,
Der nicht mehr Echo. Du staunst meinen Schmuck.
Lebendige. Und andre.
Doch in höchster
Stunde umströmt die Seele nahe Seele
Und singt von sich. Dann wirbelnd mischen sich
Die Töne, und vergebens sucht der Eine
Des andren Orgel, da es Einklang ward.

Aus: Das Mädchen (III), Reinhard Johannes Sorge Werke in drei Bänden
Eingeleitet und herausgegeben von Hans Gerd Rötzer
Glock und Lutz Nürnberg 1962 / 1964

Reinhard (Johannes) Sorge, geboren am 29. Januar 1892 in Rixdorf, heute Berlin-Neukölln, war ein deutscher Schriftsteller. 1912 wurde sein Theaterstück „Bettler“ veröffentlicht, welches als das erste expressionistische Drama gilt. Die Uraufführung war allerdings erst nach seinem Tod, 1917.
1913 heiratete er. Auf der Hochzeitsreise nach Rom 1914 konvertierte das junge Paar zum Katholizismus, er nannte sich fortan Reinhard Johannes Sorge. Er siedelt mit seiner Frau in die Schweiz über, er möchte jetzt nur noch „Christi Griffel“ sein und schreibt religiöse Weihespiele und religiöse Epen. Bei Kriegsausbruch August 194 meldet er sich als Kriegsfreiwilliger, er wird jedoch zurückgestellt. Als er 1915 den Entschluss fasst, Priester zu werden, wird er doch noch zum Militär einberufen. Während der Somme-Schlacht 1916 wird er schwer verwundet und stirbt kurze Zeit später, am 20. Juli 1916. 

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