Deine Liebe ist die fromme Legende meiner Seele
Ein Stern stand über dem Walde.
Ein einziger, großer, wundervoller Stern.
Die Waldnymphe staunt:
Wie schön bist Du!
Dein Gang ist lauter.
Deine silbernen Strahlen
sammelt mein Herz.
"Liebliche" sagt der Stern.
Meine Bäume bröckeln auf
zu süß duftender Rinde.
Alle beugen sich ein in Deinen Glanz.
Meine Bäume schlafen nicht.
Aus ihren geheimnisvollen Seelen tropft Blut.
Schweres, süßes, goldenes Blut.
"Liebliche" sagt der Stern.
Ich stehe auf der zaubersammen Regenbogenbrücke.
Meine Augen sind Glanz.
Du wohnst ferne von mir.
Um die Tore der Wolken
wo Du wohnst
flattern die Lieder
meiner Heimat.
"Liebliche" sagt der Stern.
Deine Liebe ist die fromme Legende meiner Seele.
Aus: Frida Bettingen Gedichte, Georg Müller München 1922
Frida Bettingen (* 5. August 1865 in Ronneburg; † 1. Mai 1924 in Jena; geborene Frida Reuter), Schriftstellerin, expressionistische Lyrikerin.
Die Familie lebte 24 Jahre bis zum Tod von Franz Bettingen in Krefeld, danach zog sie nach Jena. Dort studierte Bettingens Sohn Philologie. Er starb 1914 im Ersten Weltkrieg, was bei Frida Bettingen zu schwerwiegenden psychischen Problemen führte. Ab 1917 hielt sie sich mehrmals in Sanatorien auf. 1923 wurde sie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Zwischen diesen Aufenthalten war es ihr jedoch möglich, ein weitgehend normales Leben zu führen. Sie schrieb Gedichte, wobei die Inspiration dazu hauptsächlich aus ihrer Trauer und Verzweiflung als Mutter entsprang. Erst mit diesem Spätwerk nahm sie, gefördert von Wilhelm Schäfer, an der expressionistischen Bewegung teil.
Das Bild ist von Alphonse Osbert (1857 - 1939)
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