Mittwoch, 25. Januar 2023

Klabund: Die letzte Kornblume / Drei Wünsche / Epitaph als Epilog

 


Die letzte Kornblume

Sie ging, den Weg zu kürzen, übers Feld.
Es war gemäht. Die Ähren eingefahren.
Die braunen Stoppeln stachen in die Luft,
Als hätte sich der Erdgott schlecht rasiert.
Sie ging und ging. Und plötzlich traf sie
Auf die letzte blaue Blume dieses Sommers.
Sie sah die Blume an. Die Blume sie. Und beide dachten
(Sofern die Menschen denken können, dachte die Blume...)
Dachten ganz das gleiche:
Du bist die letzte Blüte dieses Sommers,
Du blühst, von lauter totem Gras umgeben.
Dich hat der Sensenmann verschont,
Damit ein letzter lauer Blütenduft
Über die abgestorbene Erde wehe –
Sie bückte sich. Und brach die blaue Blume.
Sie rupfte alle Blütenblätter einzeln:
Er liebt mich – liebt mich nicht – er liebt mich... nicht. –
Die blauen Blütenfetzen flatterten
Wie Himmelsfetzen über braune Stoppeln.
Ihr Auge glänzte feucht – vom Abendtau,
Der kühl und silbern auf die Felder fiel
Wie aus des Mondes Silberhorn geschüttet.

Drei Wünsche

Unser erster Wunsch heisst: einfach sein,
Wie die Vogelschwinge blitzt im Blauen
Unsren Blicken, unsren Küssen trauen.
Unser erster Wunsch heisst einfach sein.

Unser zweiter Wunsch heisst: traumlos sein,
Wenn die Nebel um die Berge schiessen,
Unsre Seele in die Dämmrung giessen:
Unser zweiter Wunsch heisst traumlos sein.

Unser dritter Wunsch heisst: sterblich sein,
Dass wir nicht den Kratern gleich im Siegen
Ewig über unsren Feuern liegen:
Unser dritter Wunsch heisst sterblich sein.

Aber anders klingt des Schicksals Lied,
Dessen Töne grausam uns geleiten:
Ewig träumst du deine Strahlsamkeiten,
Klimmt die Sonne singend zum Zenith.

Epitaph als Epilog

Hier ruhen siebenundzwanzig Jungfrauen aus Stralsund,
Denen ward durch einen Interpreten des Dichters neueste Dichtung kund.
Die hat die empfindsamen Mädchenherzen so sehr begeistert,
Dass auch nicht eine mehr ihr Gefühl gemeistert.
Man hängte sich teils auf, teils ging man in die See.
Nur eine ging zum Dichter selbst. (Und zwar aufs Kanapee.)

Klabund, das ist Alfred Henschke (1890 - 1928)

Für die Nazis, die seine Werke später verboten, seine Bücher verbrannten, war er ein „Asphaltdichter“, also in etwa ein entarteter und verjudeter Künstler, für die Kommunisten war er ein „bürgerlicher Individualitätstrottel“. Doch mit seinen Gedichten, die er in kleinen Heften, wie zum Beispiel der „Harfenjule“ veröffentlichen ließ, billig gedruckt und günstig zu haben, so wollte er es, traf er einen Volkston, der ihn bei den „kleinen Leuten“ beliebt machte. Er starb am 14. August 1928 an Tuberkulose.

„Das Es der Dinge, dem ich mich verschrieben,
Es mildert sich im Du der Träumerei.
Ich werde ewig meine Seele lieben
In ihrer Ruh, in ihrer Raserei.
Geliebte, Ewige an meinem Mund:
Ich bin und war und werde sein
Klabund“

Foto: Pixabay 

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