Begegnung in der Zelle
Die Dinge, die erst feindlich zu dir schauen,
Als wären sie in Späherdienst gezwängte Schergen,
Sie laden dich zu Fahrten ein gleich guten Fergen,
Und hegen dich wie schwesterliche Frauen.
Es nähern sich dir all die kargen Dinge:
Die schmale Pritsche kommt, die blauen Wasserkruge,
Der Schemel flüstert, daß er gern dich trüge,
Die Wintermücken wiegen sich wie kleine Schmetterlinge.
Und auch das Gitterfenster kommt, das du verloren,
Mit Augen, die sich an den schwarzen Stäben stachen.
Anstarrtest, während deine Arme hilflos brachen.
Und Köpfe der Erschoßnen wuchsen aus versperrten Toren,
Das Gitterfenster ruft: Nun, Lieber, schaue, schaue.
Wie ich aus Wolken dir ein Paradies erbaue.
Dämmerung
(Romain Rolland dankbar)
Am frühen Abend lischt das Leuchten deiner Zelle,
Von grauen Wänden gleiten schlanke Schatten,
Wer trotzig schrie, wird träumerisch ermatten,
Die braune Stille schwingt wie eine milde Welle.
Und oft erfüllt den engen Raum opalne Helle,
Gestalten deines Herzens locken dich zu heitrem Reigen,
Da wird ein Tanz im schweren Mantel Schweigen,
Da wird ein bunter Klang im dämmernden Gefälle.
Dein Atem ist ein Ruf, ein einziger Ruf!
Die Wächter schlürfen durch die Gänge, scheele Gäste.
Du bist so reich und lüdst sie ein zum Feste,
Das dir Genosse Abend schuf.
Doch grämlich drücken sie ans Guckloch trockne Schläfe . . .
Es ist kein Ruf, der ihre Herzen träfe.
Pfade zur Welt
Wir leben fremd den Knuten Dingen,
Die um die Menge fiebernd kreisen,
Wir wandern in den stilleren Geleisen
Und lauschen dem Verborgnen, dem Geringen.
Wir sind dem letzten Regentropfen hingegeben.
Den Farbentupfen rundgeschlieffner Kieselsteine,
Ein guter Blick des Wächters auslöscht das Gemeine,
Wir fühlen noch im rohen Worte brüderliches Leben.
Ein Grashalm offenbart des Kosmos reiche Fülle,
Die welke Blume rührt uns wie ein krankes Kind,
Der bunte Kot der Vögel ist nur eine Hülle.
Des namenlosen Alls, dem wir verwoben sind.
Ein Wind weht menschlich Lachen aus der Ferne,
Und uns berauscht die hymnische Musik der Sterne.
Ernst Toller, aus: „Gedichte der Gefangenen - Ein Sonettenkreis“ Kurt Wolff Verlag, München 1921
Ernst Toller (geboren am 1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York). Schriftsteller, Dramatiker. Als zeitweiliger Vorsitzender der bayerischen USPD und Protagonist der kurzlebigen Münchner Räterepublik wurde er nach deren Niederschlagung im Juni 1919 verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt. Er entging mit dem einen Monat später gefällten Urteil der drohenden Todesstrafe und wurde zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt.
Bereits während seiner Haft und mehr noch danach wurde er vor allem mit seinen Dramen als einer der maßgeblichen Vertreter des literarischen Expressionismus in der Weimarer Republik bekannt.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Deutschen Reich wurde Toller aufgrund seiner jüdischen Herkunft und politischen Haltung formell aus Deutschland ausgebürgert. 1933 emigrierte er zunächst in die Schweiz. Seine Werke gehörten zur Liste der im Mai 1933 „verbrannten Bücher“.
1937 emigrierte er in die USA, wo er sich 1939 das Leben nahm.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen