Mittwoch, 25. Januar 2023

Ernst Wilhelm Lotz: Laßt mich in schlichten Versen sagen / Musik

 


Laßt mich in schlichten Versen sagen

Laßt mich in schlichten Versen sagen,
Was sich im tiefsten Herzen regt
Und was mir an verträumten Tagen
Die Brust so stürmisch hat bewegt.

Was in der Kinderzeit war mein Sehnen,
Ist überwunden und erdrückt,
Jetzt fließen spärlicher die Tränen,
Wenn mir ein Herzenswunsch mißglückt.

Ich muß mich still zufrieden geben:
Die meisten Wünsche sind versagt,
Und ungleich Glück verteilt das Leben,
Doch Christ sei still und unverzagt.

Dem Schnitter, der am heißen Tage
Mit Schweiß und Stöhnen Garben flicht,
Dem leuchtet nach der Müh' und Plage
Des Erntefestes Freudenlicht.

Musik

Im Wasgenwald tönte der Abendwind.
Ich ging in Straßburgs Sommerstraßen.
Vom Wasgenwald wehte Musik über Dächern,
Daß alle die Giebel und blanken Zinken
Erglühend zitterten.

Ums Münster aber war die Luft von Purpur.
Hier, auf den Flügeln des Westes herübergekommen,
Hier sank das Lied der rot erstaunten Wälder
Herab, hier wo Musik in Steinen wohnt.

Ihr großen Wälder mit den alten Stämmen
Und Felsen, rauh gezackt, dämmernde Dörfer,
So tief versenkt in roter Nebel Flut,
Und Wohlgerüche, die der Abend atmet.

Also voll Süße war das Spiel der Lüfte,
Daß ich, nachlauschend dem Verklungenen,
Hier mitten im bunten Kreisen der Stadt,
Nur unter Tannen schritt, die waldig wogten,
Nur Büsche glühen sah und Johanniswürmer,
Und vor mir, der ich folgte, solch ein Mädchen,
Das wie aus Tau gebaut war.

Und fern ein Licht, mein Haus, darin ich feiern würde
Ein Fest der Sommerliebe bei rotem Wein
Und leisem Geigenstreichen.

Ja deine Lippen dufteten so nach Harz
Und feuchten Gräsern, die ein Reh zerknickt.
Ja du warst süß und berauschend wie das Lied,
Das von den rot geschauten Bergen vorhin
In meine Adern gezittert ist.

Aus: Ernst Wilherlm Lotz, Und schöne Raubtierflecken. . . ein lyrisches Flugblatt, A. R. Meyer Verlag Berlin Wilmersdorf, 1913

Ernst Wilhelm Lotz wurde am 6. Februar 1890 in Culm an der Weichsel geboren. Sein Lebenslauf darf - in all seiner Trostlosigkeit und Zielstrebigkeit zum Untergang - als charakteristisch für einen Vertreter des Expressionismus angesehen werden. Schon mit 17 Jahren wurde er im Infanterie-Regiment Nr. 143 zu Straßburg zum Fähnrich befördert, kurze Zeit darauf zum Leutnant. Für die Dauer von anderthalb Jahren diente er als Offizier, wechselte dann allerdings im Jahre 1912 in das zivile Leben, arbeitete für eine Hamburger Import-Exportfirma und als freier Schriftsteller -, um sich dann bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges freiwillig wieder zum Dienst zu melden. Ernst Wilhelm Lotz fiel am 26. September 1914 als Kompanieführer an der Westfront. (Projekt Gutenberg)

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