Melancholie
Bang sitzen wir im Gitter
Und zählen die Dinge auf.
Krone und goldener Knauf
Sinkt vor der letzten Zither.
Wir zählen noch einmal die Frauen
Und Sterne feierlich nach,
Bis der Galgenvogel auf dem Dach
Lang und laut schreit: „Grauen!“
Und die Spieluhr der Welt tickt
Schneller und schneller und hörbar.
Hunderttausend stehn wehrbar
Um den Weltbaum, der knickt.
Und Stund um Stund
Flattert ein schwarzes Band.
Hinten, im traurigen Land
Geht die Sonne zu Grund.
Eugen Gottlob Winkler, um 1934, aus: An den Wind geschrieben, Lyrik der Freiheit 1933 – 1945, gesammelt, ausgewählt und eingeleitet von Manfred Schlösser, Agora, eine humanistische Schriftenreihe, Darmstadt 1961
Eugen Gottlob Winkler, geboren am 1. 5. 1912 in Zürich, Schriftsteller, 1933 von der Gestapo verhaftet, aber wieder freigelassen. Als 1936 eine erneute Verhaftung drohte, nahm er sich am 26. 10. 1936 in München das Leben.
Walter Jens schrieb in einer von ihm 1960 beim S. Fischer Verlag herausgegebenen Textsammlung über Winkler: „Eugen Gottlob Winkler war vielleicht der letzte Europäer, dem es gelang, die Existenzform eines Baudelaireschen Dandys noch einmal mit tragischer Würde, mit dem Pathos des Martyriums zu krönen: ein letztes Mal waren Dandy und Rebell, outcast und Opfer Synonyme.“
Angedenken
Lächle die blumige Weise,
Schönste im Haupte verblasst,
Wenn uns der steinerne Gast
Dunkelt in Gärten der Reise.
Sinkt, die das Linnen zerriß,
Die Hand, da sie faul sein müßte:
Bewölkt die entblößten Brüste
Hinüber beugst du in Finsternis.
Nur manchmal bekränzet (die Stunde
Ist unnah und hart gebüßt) –
Da schwenkt das südliche Bild, es grüßt
Wasser und Sand von deinem Munde.
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