Dienstag, 24. Januar 2023

Franz Luft: Revolutionsball der Aktion / Alfred Lichtenstein: Nach dem Ball

 


Am 20. Februar 1911 erschien die erste Nummer der Aktion mit dem Untertitel „Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur“:

Revolutionsball der Aktion

I.

Blutrot inmitten ragt die Guillotine
und wirft ihr Rotsein strahlenförmig aus
wie eine Palme schattige Baldachine,
und alle Lichter färbt sie rot im Haus.

Rot spiegelt sie die Jakobinermützen,
die Mäntel der Banditen, das Gewirr
nackender Glieder, die wie Schlangen blitzen,
der Schultern und der Brüste Perlgeflirr.

Rot springt ihr Blutgesang, die Marsaillaise,
unter das Volk, sie tanzen Mann und Weib
verschlungen ineinander heiss und böse,
sich stossend wild mit ihrem Unterleib.

II.

Wie munter treibe ich im bunten Meer.
Bin ich der Tintenfisch? ich weiss es nicht. -
Dies violette Wesen blickt so sehr.
Ganz nackt ist jener Jüdin Angesicht,

sie hebt ein Bein, das schimmert im Trikot,
viel irdischer als die Natur es schuf.
Dort steuert einer irr und qualenfroh,
das ist gewiss ein Dichter von Beruf.

Jünglinge schleudern Augen schleierlos
und schwarz wie Sammet brüsk von Weib zu Weib,
siegreiche Mädchen, bis zur Hüfte bloss
üben den wundervollen Schlangenleib.

III.

Inzwischen steht an eine Wand gelehnt
ein würdiger Gast, dem jedes Barthaar fehlt,
die Augen, an des Geistes Werk gewöhnt,
blicken aus schwarzer Brille tief beseelt.

Als dächte er, des Wissens dürren Sand
färbt doch die Liebe nur mit Blüten bunt,
so hebt er langsam eine Mädchenhand
und führt sie stumm andächtig an den Mund.

Und wie er leicht hineinbiss, war es mir,
als wenn er einem seltnen Vogel glich,
und eine innre Stimme wuchs in mir
und rief: Das ist der Intellekterich!

IV.

Ach, wie berauschend wird das Farbenspiel.
Die grüne Nacht der Seiden, dunkelrot
von Sternen überfunkelt, im Gefühl
von süssem Schweben zwischen Tag und Tod

Und Prächte östlicher Kulturen glühn
dazwischen auf, kostbar gewirktes Gold,
versunk´nes Violett und fremdes Grün,
das ist in Arabesken aufgerollt.

O, wie das schwimmt in einem Meer von Licht
und Worten - manchmal springt ein Laut heraus,
just hör´ ich eine Stimme, welche spricht:
Ich geh doch heute nicht mit Dir nach Haus!

V.

Ist das der letzte Tanz? Zwischen den Paaren
kann man schon viel vom glatten Boden sehn,
sie stürmen drüber hin wie Janitscharen,
es ist ein grosses Stampfen und Gedröhn.

Blutrot inmitten ragt die Guillotine
und wirft ihr Rotsein strahlenförmig aus.
Auf ihrem Treppenbau sitzt Messaline
vom Tanzen müde und sie ruht sich aus.

Ihr Kopf liegt weit zurück, die Augen blicken
unter den Lidern unbeweglich fort.
Der Leib schwingt leise und die Lippen zücken
Erkenntnisse, die schildert nie ein Wort.

Franz Luft, aus: Die Aktion, Heft Nr. 8 1913

Nach dem Ball

Die Nacht kriecht in die Keller muffig matt.
Glanzkleider torkeln durch der Strassen Schutt.
Gesichter sind verschimmelt und kaputt.
Kühl brennt der blaue Morgen auf die Stadt.

Wie bald Musik und Tanz und Gier zerrann. . .
Es riecht nach Sonne. Und der Tag beginnt
Mit Schienenwagen, Pferden, Schrei und Wind.
Ein Mann streicht einen Herrenrumpf grau an.

Alltag und Arbeit staubt die Menschen ein.
Familien fressen stumm ihr Mittagsmahl.
Durch einen Schädel schwingt noch oft ein Saal,
Viel dumpfe Sehnsucht und ein Seidenbein.

Alfred Lichtenstein, aus: Die Aktion, Heft Nr. 8 1913 (direkt unter obigen Gedicht)

Die Aktion war eine von Franz Pfemfert von 1911 bis 1932 herausgegebene literarische und politische Zeitschrift, die dem Expressionismus zum Durchbruch verhalf und für eine undogmatische linke Politik stand. Anfangs erschien Die Aktion wöchentlich, ab 1919 vierzehntäglich, ab 1926 nur noch unregelmäßig. Durch den Kontakt zu Hiller und dessen Freunden im Neuen Club, die unter der Bezeichnung Neopathetisches Cabaret Leseabende mit expressionistischen Künstlern organisierten, wurde Die Aktion rasch zum führenden Organ der neuen Richtung.

Ab 1913 erschienen mehrere Sonderhefte, die nur Lyrik enthielten. Ab 1914 nahm der Anteil der grafischen Arbeiten zu, wobei besonders ausdrucksstarke Holzschnitte das Erscheinungsbild der Zeitschrift prägten. In der ersten Nummer umriss Franz Pfemfert das Ziel der Aktion wie folgt:

„Die Aktion tritt, ohne sich auf den Boden einer bestimmten politischen Partei zu stellen, für die Idee der Großen Deutschen Linken ein. Die Aktion will den imposanten Gedanken einer ‚Organisierung der Intelligenz‘ fördern und dem lange verpönten Wort ‚Kulturkampf‘ […] wieder zu seinem alten Glanze verhelfen. In den Dingen der Kunst und Literatur sucht Die Aktion ein Gegengewicht zu bilden zu der traurigen Gewohnheit der pseudoliberalen Presse, neuere Regungen lediglich vom Geschäftsstandpunkt aus zu bewerten, also sie totzuschweigen.“

Bereits 1914, noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wurde die Zeitschrift erstmals beschlagnahmt. Mit Ausbruch des Krieges im August 1914 verschärfte sich die Situation noch, da jetzt eine schärfere Zensur galt. Pfemfert beschloss deshalb, ab sofort nur noch literarische Texte zu veröffentlichen, um so ein vollständiges Verbot des Heftes zu vermeiden. Erstaunlicherweise gelang dies, und das obwohl Pfempfert in Rubriken wie Ich schneide die Zeit aus hetzerische Artikel aus anderen Zeitungen geschickt montierte, und in einer Briefkastenrubrik Künstler und Intellektuelle, die den Krieg unterstützten, scharf angriff. Auch die literarischen Veröffentlichungen setzte er geschickt im Sinne des Antimilitarismus ein, indem er zum Beispiel Gedichte von der Front veröffentlichte, . . . Neben wirtschaftlichen und politischen Gründen hat wohl auch Franz Pfemferts sich ab Ende der 1920er Jahre verschlechternder Gesundheitszustand dazu geführt, dass Die Aktion schließlich einging. !933 ging Franz Pfempfert ins Exil, er starb am 26. Mai 1954 in Mexiko. (Wiki) 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen