Dienstag, 24. Januar 2023

Paul Zech - Oh wundersame Zeit. . . / Der Tag / Else Lasker-Schüler: Paul Zech

 



Oh wundersame Zeit des Lichtgeschehens!
Der Wald ganz tief in Silberblau getaucht.
Und märchenseltsam, so wie hingehaucht
Im Zwielichtschein des leisen Nachtverwehens.

Wie Rätsel stehn die stumpfbeglänzten Bäume.
Der Weg fast wesenlos du ohne Ziel.
Und durch das vage Blätterschattenspiel
Flutet der Duftstrom blauer Veilchenträume.

Wie bist du keusch, o Wald, im Morgenfrieden.
Noch nie betretne Pfade geht mein Fuß.
Ich fühle mich ganz erdenabgeschieden.

Und Winde reden auf mich ein wie Geigen.
Und wie von Mädchenlippen einen Kuß,
So schlürf ich in mich Licht und Duft und Schweigen.

Paul Zech, die beiden ersten Gedichte von sechs aus seinem ersten veröffentlichten Gedichtband „Waldpastelle“, Lyrisches Flugblatt, Verlag A. R. Meyer, Berlin 1910

Der Tag

Die Nacht lang standen beide Fenster auf. . .
Es weht mich an, ich muß die Lider heben -:
schon wieder bin ich einem Tag gegeben,
an ein Erleben unbefragt verkauft.

Es greift ein Strahl, es langt ein Baum nach mir,
in meinem Ohr versammelt sich die Straße
und um den Körper spannen sich die Maße
des Anzugs; angezogen stürzt das Tier

zurück auf alle Viere. Losgelassen!
Und doch auf einen Pfeifenschrei dressiert,
ummauert von dem herrischen Geviert

der Stadt mit täglich durchmarschierten Gassen.
Die Pfeife gellt -; Fabrik wird Wolke, Bach und Wald,
und noch dein Herz zum Fluch geballt.

Paul Zech, aus: Der feurige Busch, Musarion Verlag München, 1919

Paul Zech, geboren am 19. Februar 1881 in Briesen (Westpreußen), gestorben am 7. September 1946 in Buenos Aires, bevor er aus dem Exil nach Deutschland zurück kehren konnte. Ab 1904 veröffentlichte er Gedichte in lokalen Zeitschriften, 1909 trat er in Briefkontakt mit Else Lasker-Schüler. Durch sie wurden ihm Publikationsmöglichkeiten in der von Else Lasker-Schülers Ehemann Herwarth Walden herausgegebener Zeitschrift Der Sturm eröffnet. 1912 konnte er Gedichte in der ersten lyrischen Anthologie „Der Kondor“, heraus gegeben von Kurt Hiller, unterbringen. Erfolgreich wurde er mit einem Band Nachdichtungen: „Die Balladen und lasterhaften Lieder des Herrn Francois Villon“. 1933 emigrierte er nach Argentinien, wo er am 7. September 1946 in Buenos Aires verstarb.

Paul Zech

Sing Groatvatter woar dat verwunschene Bäuerlein
Aus Grimm sinne Märchens.

Der Enkelsonn ist ein Dichter.
Paul Zech schreibt mit der Axt seine Verse.
Man kann sie in die Hand nehmen,

So hart sind die.
Sein Vers wird zum Geschick
Und zum murrenden Volk.

Er läßt Qualm durch sein Herz dringen;
Ein düsterer Beter.

Aber seine Kristallaugen blicken
Unzählige Male den Morgen der Welt.

Else Lasker-Schüler (1869 - 1945), aus: Gesammelte Gedichte, Verlag der Weißen Bücher, Leipzig 1917

Das Bild ist von der am 17. Februar 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch.

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