Dienstag, 24. Januar 2023

Tänze im Sturm - Gedichte von Willy Knobloch (Sebastian Droste), Anita Berber, Ingeborg Lacour - Torrup, Herwarth Walden

 


Tänze im Sturm: Tanz

Feuerbrände reißen rote Haare
Strähnen ziehen . . . Regen , . . Regen
Triefen . . . triefen . . . wallen . , . wallen
lösen . . . fallen . . .
Sonne lacht.
Leiber kugeln . . . drehen . . . wenden
schweben , , .
lache , . lache , . gurre . . girre
Tanz kreischt auf
Ton versinkt
Brüste spritzen . . , Atem keucht
Auge lacht
Ohren zittern
Ton fällt ab . . ab und auf . . .
Wellen zittern
Rausche . . . rausche..
Rüg
Wolken bäumen Wollen
Wollen lacht auf
Hoch
Hoch hinauf
Hinauf in das AH
Erde schweigt
Zitternd bergen Menschen
Wissen
Ich schwinge die Menschheit
Menschheit kriecht
bebt
bangt
ich sonne das Ich
Wolken reißen Fetzen
Blätter
Wirbeln
Quirreln
Fangen
Jagen
Ich
Sonne strahlt -
lacht kugelt
glüht
Blauer Himmel
jauchzt singt Erträumen
Erde sinkt
fällt
gründet Tiefe
Ich schwinge jage
in dem Raum.

Willy Knobloch, aus: Der Sturm, Erstes Heft 1920

* * *

Gedicht für Sebastian Droste

Ich


Wachs schimmerndes Wachs
Ein Kopf – ein Brokatmantel
Wachs –
Rot – wie Kupfer so rot und lebende Haare
Funkelnde Haare wie heilige Schlangen und Flammen
Tot
Millionenmal tot
Verwest
Und schön – so schön
Blut wie fliessendes Blut
Ein Mund stumm
Nacht ohne Sterne und Mond
Die Lider – so schwer
Schnee wie kalter wärmende Schnee
Ein Hals – und fünf Finger wie Blut
Wachs wie Kerzen
Ein Opfer von ihm

Anita Berber (1899 in Leipzig - 1928), Tänzerin und Schauspielerin

* * *

Gedicht für Anita Berber

Tanz Anita zu eigen


Aufwirbelndes jauchzendes Begehren
Sprung – – –
Webenden Wellen
Weichwelle Wogen
Kreist kreist unendliche Kreise – – –
Verlangendes Weben schwebt wellwoges Wogen
Auf einsamen Thronen thront der Gott – –
Sturzwelles spitzes grelles Begehren
Kreisgelles gelbgrünes Belachen
Zerkreisen zerwellen zerwogen zerhauchen
Springpflanzartiges Zerblättern
Beschwingen
Besingen
Klang –
Aufjubelndes Zerfliessen
Zergreifen
Zerweben – –
Tanz – – –

Sebastian Droste

* * *

Unsre Hände krampfen umeinander
Unsre Lippen brennen ineinander
Unsre Leiber suchen sehnen suchen
Krampfen
brennen
sehnen
suchen
sehnen
Stummen sterben
und Verstummen
Oh das Weinen ohne Tränen
Leiser immer leiser
Leise

* * *

Meine Augen suchen Deine Augen
Liegen Deine Augen nun in mir
Liegen meine Augen nun in Dir
ruhen wir
ruht alles Leid
ruhen alle bösen Träume

* * *

Alle Luft steht still
Lange Blätter hängen schlaff
Blasse Blüten schleppen erdlang
Ein riesengrosser weisser Mond löst sich
Und schwebt
Senkt sich
Und kreist
Und legt sich flach auf meine Erde
Deckt meine ganze Erde zu
Ein riesengrosser weisser Mond liegt auf der Erde

Ingeborg Lacour – Torrup, aus: Der Sturm, Jahrgang 14, Nr. 6, 1. Juni 1923

* * *

Zum „Tanz der Wehfreude“

Tango von Herwarth Walden

Und alle Freude weint durch alle wehen Nächte
Und alle Wehen singen durch die frohen Tage
Und alle Tage sinken in die letzte Nacht
Und alle sind wir wegesmüde - lieber Tod.
Nun strömen alle hellen Wasser in das Schweigen
Nun fallen alle hellen Sterne in die Tiefen
Nun steigen alle Nebel in die hellen Sonnen
Nun stehen alle unsre Welten - unsre Welten
Noch müde schwingen Pendel sanfte Schläge
Nun stehen Herzen alle Herzen

* * *

Hoch glänzt das Sterben
Bäume blühen
Frühling
Blühen
Heben fromme Kerzen in die Nacht
Weich weht ein Wind
Hoch glänzt das Sterben
Tiefe schwankt
Und flutet satt
Und fluten sanften Tiefe
Sanften satt
Und schwankt
Hoch glänzt das Sterben
Wolken sammeln
Schrecken Sterne
Im Dunkel lugt ein Auge bang
Und späht
Verstohlen lugt ein Auge
Späht nach mir
Mir nach
Schluchzt wo ein Mund
Ganz fern
Schluchzt wo
Ganz nah
Mir nah
Und mir
Das Auge kreist in meiner Brust
Schluchzt mir im Ohr ein Mund
Und Schatten schreiten
Und schreiten lange Schatten
Schreiten
Komm
Hoch glänzt das Sterben
Die frommen Bäume blühen
Und halten stille Kerzen
Tiefe schwankt
Weich weht ein Wind
O meine Erde

Herwarth Walden, aus: Der Sturm, Jahrgang 14, Nr. 6, 1. Juni 1923

* * *

Anita Berber, geboren am 10. Juni 1899 in Leipzig - Die Karriere der Berliner Tänzerin Anita Berber war skandalumwittert. Mit 17 (nach einjähriger Ausbildung) hat sie ihren ersten Auftritt, der ihr Anzeigen wegen Unsittlichkeit einbringt. Ihr Leben lang werden ihr solche Urteile anhängen. Mit 18 steht sie vor der Kamera, und wenig später schon gibt sie Gastspiele in New York.

Mit ihrem Namen verbinden sich die „Wilden Zwanziger“ in Berlin: schnell, schrill, exzentrisch, überdreht. Aber auch die dunkle Seite: Alkohol, Kokain, Krankheit und schließlich (fast) das Absinken in die Vergangenheit – hätten nicht berühmte Männer sie beschrieben oder gemalt. Klaus Mann sagte von ihr: „Anita Berber tanzt den Koitus.“ Und Otto Dix malte sie als Vamp mit roten Haaren.

Ihre Auftritte in Varietés und Nachtklubs sind derart gewagt, dass manche BesucherInnen sich am Eingang Masken leihen, um nicht erkannt zu werden.

Anita Berber bezahlt ihren Ruhm teuer: Sie wird alkohol- und drogenabhängig und dadurch äußerst unzuverlässig; Verträge werden gekündigt. Ihre zweite Ehe mit dem Tänzer Sebastian Droste scheitert, Engagements bleiben aus.

Schließlich heiratet sie den amerikanischen Tänzer Henri, mit dem sie auf Tournee in den Vorderen Orient geht. In Damaskus bricht sie auf der Bühne zusammen und muss, von Henri begleitet, die Rückreise nach Deutschland antreten. Unheilbare Tbc und Geldnot machen ihre Lage hoffnungslos. Sie stirbt am 10. November 1928 im Alter von 29 Jahren. (Text: Beate Schräpel, 1987 in FemBio)

* * *

Sebastian Droste, eigentlich Willy Knobloch (* 2. Februar 1898 in Hamburg; † 27. Juni 1927 ebenda) war Tänzer, Lyriker und Schauspieler. Zusammen mit seiner Ehefrau Anita Berber gehörte er zu den skandalreichsten Persönlichkeiten der Weimarer Republik und war bis zu seinem Tode einer der bedeutendsten Tänzer des Landes.

* * *

Ingeborg Torrup (oder Lacour-Torrup) war eine dänischstämmige Autorin, Schauspielerin und Tänzerin - in den frühen und mittleren 20er Jahren Mitarbeiterin an Herwarth Waldens Zeitschrift Der Sturm. Sie schrieb ihre Gedichte auf Deutsch. Über ihre Lebensdaten ist wenig bekannt. Sie wanderte in den Zwanzigerjahren wohl in die USA aus.

Ingeborg Torrup kehrt nach einem Deutschland-Aufenthalt, sie gastierte unter anderem am 3. 2. 1922 im Blüthnersaal in Berlin, im Sommer 1923 in die USA zurück, nach San Francisco. Dort arbeitet sie als Schauspielerin und Tänzerin. Später ist sie in New York ansässig. Bei ihrer Rückkehr 1923 gibt sie auf den Passagierlisten ihr Alter mit 24 an. Danach wäre sie 1899 geboren. 1929 hat sie in New York als Mitglied der Truppe von Walter Hampden versucht, sich das Leben zu nehmen.

Walter Hampden (1879 - 1955) war ein bekannter Broadway-Schauspieler, zeitweise führte er mit dem Colonial Theatre sein eigenes Theater, das zwischen 1925 und 1931 auch nach ihm als Walter Hampden Theatre benannt war.

Auf einer Seite des Philadelphia Inquirer v. 23.5.1922: Ingeborg Lacour-Torrup, Danish classical dancer, now appearing in Berlin, has been engaged to appear in this country.

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Herwarth Walden (eigentlich Georg Lewin; * 16. September 1878 in Berlin; † 31. Oktober 1941 bei Saratow) war Schriftsteller, Verleger, Galerist, Musiker und Komponist. Walden war einer der wichtigsten Förderer der deutschen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts (Expressionismus, Futurismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit). Er gründete 1910 die Zeitschrift Der Sturm, die bis 1932 bestand. Ab 1912 betrieb er die Sturm-Galerie; unter seiner Leitung fand 1913 die Ausstellung des Ersten Deutschen Herbstsalons in Berlin statt. Die Dichterin Else Lasker-Schüler war seine erste Ehefrau.

Der Sturm gehörte – gemeinsam mit Die Aktion von Franz Pfemfert – zu den großen avantgardistischen Zeitschriften, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet und publiziert wurden.

Das Foto zeigt Sebastian Droste und Anita Berber

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