Dienstag, 24. Januar 2023

Gertrud Kantorowicz, aus: Einer Toten

 


Aus: Einer Toten

Ich trage schöne tote schmetterlinge
Die nächtlich nach der heissen sonne darben
Und die im ersten morgenleuchten starben
Gesenkt die schattenpracht der dunklen schwinge.

Nun prunken ihre schönen toten farben
Von wundervollen blumen der magnolien
Gleich samtnen blätter roter centifolien
die ihre südenheimat suchend starben.

* * *

Hüll meinen leib in violette seide
In graues schleierwallen birg mein haupt
Von meinen gliedern löse mein geschmeide
Nimm mir den kranz von dem gelocktem haupt -

Verlosch die rosenampeln jener mauer
Und hemme mir des springquells trunknes lied
Das mich erlaben will - mein sinn trägt trauer
Und eine nachtigall schluchzt in sein lied.

Ich kann die blütengründe nicht betreten -
Lass kinder durch die bunten hänge gehen -
Lass alles volk in goldnen kirchen beten
Ich kann die reichen räume nicht betreten
Darin gesegnete mit lächeln gehen.

* * *

Und einsamkeit ist in dem stillen garten
Der deines tages traumgefährte ist -
Verfrühtes blühn schwebt um entlaubte hecken
Vom tau der weichen nächte wachgeküsst.

Ein wohlgeruch dringt von der frischen scholle
Dein fuss sinkt schmiegend in umgrüntes land
Und halberschlossene schlinggewächse hemmen
Mit feinem laubgerank dein festgewand.

Von taubenschwingen ist die luft geregt
Licht flutet in die scheuen laubengänge -
Verträumten fingers lösest du die flechten
Und von den lippen strömen dir gesänge.

* * *

Ich leite dich die lichtbekränzten pfade
Vom gruss des nahen südenlands geweiht -
Ich bin so reich an neuer maiengnade
In deiner weichen kinderfröhlichkeit.

Ich weiss, du wirst dich zu den gräsern bücken
Die seltsam knospend zum erblühn bereit -
Und blumen die nur kinderhände pflücken
Sind glanzgeschmeide für dein leichtes kleid.

Viel frühjahrsfäden silbern unsre pfade
Mild taut die bläue zu durchsonnten hängen -
Wir geben uns der reichen maiengnade
Und wissen nichts mehr von verlornen klängen.

* * *

Die späten sommer tragen satte pracht -
Am parkgelände gleissen breite teiche
Und sternenkronen brennen jede nacht
Im spröden spiegel ihrer trüben reiche.

Gert. Pauly d. i. Gertrud Kantorowicz – den Geburtsnamen ihrer Mutter nutzend, aus: Blätter für die Kunst, Band 4, 1899

Gertrud Kantorowicz wurde in Poznan (Posen) geboren. Sie war Kunsthistorikerin und Übersetzerin. Einst gehörte sie zum Kreis um den Dichter Stefan George. Sie wurde am 6. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 19./20.April 1945, also wenige Tage vor der Befreiung, starb. Ihre im Ghetto geschriebenen Gedichte erschienen 1948 unter dem Titel Verse aus Theresienstadt.

In der Reihe der Frauen um Stefan George spielte die Dichterin und Kunsthistorikerin Gertrud Kantorowicz ein besondere Rolle: Sie war die einzige Frau, die George für würdig befand, in seinen „Blättern für die Kunst“ eigene Arbeiten zu veröffentlichen. So erschien in der vierten Folge der „Blätter“ im Jahr 1899 eine Auswahl von Gedichten der dreiundzwanzigjährigen „Poetessa“, wie Friedrich Gundolf sie nannte. 


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