Im Frühling
Die Wiesen duften, es weht der Wind,
Und tausend Vöglein kamen –
Kommt her, ihr Kindlein, geschwind, geschwind,
Der Frühling ruft eure Namen.
Kommt her und seht die Wunder an,
Die er ringsum euch zeigen kann,
Schaut in die goldene Herrlichkeit,
In all das Blühen weit und breit!
Schattenbilder
Meine zwei Hände und deine,
Deine zehn Finger und meine,
Die können gar feine Kunststücke machen,
Gar drollige, schnurrige, niedliche Sachen.
Nichts brauchst du dazu als eine Wand,
Ein Licht auf dem Tisch und etwas Verstand.
Dann drehe und krümme die zehn Gesellen,
Daß sie dir allerhand Bildlein stellen:
Ein Häslein mit Ohren und Pfötlein gar fein,
Ein Kätzlein, ein Bär und ein Vögelein
Erscheinen nun plötzlich auf der Wand
Als Gäste aus heimlichem Schattenland.
Sie wackeln und tanzen und springen daher
Und all, die es sehen, freuen sich sehr.
Es lachen Vater, Mutter und Kind
Und all die andern, die drum herum sind.
Ja, deine zwei Hände und meine
Und meine zehn Finger und deine;
Die zaubern gar schnell an eine Wand
Viel schnurrige Bilder aus Schattenland.
Elisabeth Dauthendey, geboren am 19. Januar 1854 in Sankt Petersburg; gestorben am 18. April 1943 in Würzburg. Erfolgreich war sie vor allem mit ihren Märchen und Novellen, die eine mythische bis mystische Phantasiewelt entwarfen. Ihr Halbbruder war der Dichter Max Dauthendey.
Als „Halbjüdin“ drohten Elisabeth Dauthendey ab 1933 Berufsverbot und Verfolgung durch die Nazis. Sie versuchte dieser Gefahr mit konsequenter schriftstellerischer Enthaltsamkeit zu begegnen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die letzten Lebensjahre waren deshalb von erheblicher finanzieller Not gekennzeichnet. Sie starb in ihrem neunzigsten Lebensjahr.
Das Bild ist von Ferdinand du Puigaudeau (1846 - 1930)
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