Mittwoch, 25. Januar 2023

Richard Schaukal: Einsamer Weg

 


Einsamer Weg


Oft von der Pappel, die in Lüften rauscht,
steig ich den stillen Pfad am Rebenhang.
Die duftend blauer Flieder überbauscht,
die alte Mauer führt er mich entlang.

Der Himmel, den die Häuser mir verstellt,
entbreitet sich, von Sonnenhauch erfüllt.
Vom Bach herauf, den junges Laub verhüllt,
hell ruft der Häher durch die Frühlingswelt.

Und friedlich tauchst du wieder, gelbes Haus,
mit grünen Laden, gelbem Giebeldach
aus steifen Rebenstangen hoch heraus,
und Sehnsucht wird, die schlummernde, mir wach.

So möchte ich stehen, so mitten still im Grün
und meine Stirne hoch im Sonnenlicht,
und sinnend überdauern Blühn um Blühn,
bis Gott mit mir wie mit den Bäumen spricht.

Richard Schaukal, aus: Heimat der Seele (Georg Müller Verlag, München 1916)

Richard (von) Schaukal geboren am 27. Mai 1874 in Brünn; gestorben am 10. Oktober 1942 in Wien

Das Bild ist von Wassily Kandinsky (1866 - 1944)

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