Im Nebel (Flandern)
Gebannt auf einer Insel sanfte Flucht
Durch Meer, das grau die Küsten überstreift
Die Lippen sind mit feuchtem Brand bereift.
Baumsegel quirlen in der weißen Bucht.
Am Himmel hängt ein totes rundes Dach
Und fällt auf Zäune, die wie Mauern sind,
Steht drohend da, mit hohlen Augen blind,
Und schwimmt davon auf Straßen weit und flach.
Von andern Ufern tränend rot Laternen ...
Die Hände rudern hin in leisem Takt –
Und plötzlich starr ich groß und scharfgezackt,
Im Haar die nasse Haut grünspaniger Sterne ...
Walter Ferl aus: 1914 - 1918, Eine Anthologie, Verlag der Wochenschrift Die Aktion (Franz Pfemfert), Berlin-Wilmersdorf, 1916,
Walter Ferl fiel im Ersten Weltkrieg Anfang Oktober im Alter von 23 Jahren.
Leider konnten keine weiteren Daten ermittelt werden.
Den 4. Oktober 1915, an seinem eigenen Sterbetage widmete Walter Ferl diese Dichtung dem tags zuvor getöteten toten Freunde Richard Hirschfeld:
Ich trete aus der Baracke in die Nacht. Die Wiese weint. Leise aufschluchzt der Weg. Nachzitternd.
Den ganzen Tag schwer stürmte die Erde. Luft brach furchtbar zusammen, Schutt in dem Rollen stürzender Züge. Vulkane berstend. Und Glied um Glied auffahrend qualmte die Front.
Der Himmel schwarz. Leer. Ausgebrannt ... Jetzt scheint alles ganz weiß. Die Wiese weiß. Die Bäume grau. Die Ruine des einzigen Gutes überflossen von Helle.
Ratten rascheln durch das Licht in den Graben, wo entleerte Blechbüchsen klirren. Verlassene Unterstände scheinen um ihr dunkles Tor – hingekauerte Köter mit furchtbaren Einaugen. Bellen den Mond an ...
Ich habe den Mond nie leiden mögen. Wenn ich auch einst über Goethes Verse weinte: »Einen Freund am Busen hält und –« Einst ...
Wo sind meine Freunde? die meine Stimme nicht mehr umhütet! Weit zurück – an Abgründen ringend – ihr stummer Ruf verirrt sich in Klüften. Und alle die jungen Dichter, die im Dreck verfaulen ... Geliebte, wo – wo –?
Ich muß in die schwarzen Höhlen hinein. Vielleicht liegen Äser drin – Menschenäser – Entkreuzigte ... Das Liebste, das wir hingeben mußten – ankriechen – ihren Leib fressen mit grausen Zähnen, daß wir entsühnt würden – unsere Schuld, unsere Schuld an ihnen.
Liebe, liebe Mutter, weine Du nicht. Laß die Tränen Deinem männlichen Sohne. Laß sie denen, die vor diesen Gesichten keine Angst um sich kennen ... Sieh, der Mond sitzt auf dem sanften schwarzen Telephondrahte. Rutscht ab ... Fällt irgendwo nieder ... Wie schön singen wieder die kleinen Grillen im Grunde ... Wie schön brennen die Leuchtkugeln hoch im Westen, die niederfallen wie müde Sterne und leisezappelnd verlöschen.
Meine Hände sind warm.
Und die kleinen runden Schüsse fallen hallend in die Welt, arme Blutstropfen aus der hingegebenen Brust ...
Abschied im Frühling
Sonne raucht rot. Hellviolett dunstet Kontur
fernen Waldes. Pfützen in Sturzäckern glühn golden.
Immer aus lerchengeschwächter Flur
lösen sich Dolden
blaugrüner Kugeln, gleiten
vor meinen Augen weg.
Musik, unendliche, tönt ...
Ich küsse den Baum an der Straße, in dem
der Schwall der Säfte dröhnt
vor Traurigkeiten ...
Bald vielleicht: nach zerplatzter Schlacht: Hirn hängt, Augen, Gedärme
in euren Achseln, darüber fröhlich
die blaugrün blinkenden Kugeln lärmen.
Das Bild ist von Max Raebel, (1874 - 1946)
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