Dienstag, 24. Januar 2023

Wilhelm Runge: Dein Auge ist eine samtene Wiese. . . / Übers blaue Meer der Stunden. . . / Lieder

 


Dein Auge
ist eine samtene Wiese
über alle Hügel des Abends
und deine Lippen sind zu schwer
für ein leichtes Wort
Deine Gedanken
sind vor den Fingern des Todes
der sich zersehnt
ein Tanz des Glücks
Schließ mich ein
in die wilden Rosen
deines Bluts
Dein Atem
ist die Wiege des Sommers
_____

Übers blaue Meer der Stunden
winkt der Sehnsucht Schwalbenschwinge
den Gestaden fernen Glücks
und des Herzens roter Morgen
steigt empor aus tiefen Nächten
deines Bluts
fällt ein Sturm von Vogelliedern
auf der Winde seidge Schaukeln
kitzelt mit den Sonnenfingern
kräuselnd Lachen auf dem Wellenmund
und zerreißt den Schleier von den Augen
Bienen
die honigtrunken sind

Aus: Wilhelm Runge (1894-1918) Die Sonne wintert Ausgewählte Gedichte
Mit einem Nachwort herausgegeben von Wilfried Ihrig Vergessene Autoren der Moderne XLIII herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha Universität-Gesamthochschule Siegen
Siegen 1990

Lieder

Auf springt der Tod und zügelt starr die Augen
Himmel reißt Sehen blutend aus dem Tag
Gebrochen sinkt der Sonne strahle Blume
blau plündert niedrig
Schreien spritzt in Trümmer
Rauch zücken Hände
Erde bröckelt Blut
wild hebt die Liebe weißtduwo
Gedenken stolpert bruderüberfreund
hin durch den Graben splittert Tod Zerpeitschen
und Sterben raucht das kurze Pfeifchen lässig
blau wirbeln Träume kinderblume Tränen
einsam versargt
das Leid

* * *

Grauen schaufelt Löcher in den Tag
wirft Lachen rein
und schleift das Schweigen weiter
die Stirne zwängt den Graben durch den Tag
der Graben springt
die Drahtverhaue schreien
bricht durch
sinnlos jagt sinnennach
und
zwischen Küsse
betten
Tränen
Staub

* * *

Blut stöhnt die Welt
Blut läßt sie lässig fallen
wirft nach die Sterne in den trägen Staub
Hoch reckt das Herz vielsommerstarke Himmel
Gewissenlos brückt Überstern die Hand
und greift das totzerzauste Kinderlächeln
Haschend neckt Seele Sterben Spiel durch Spiel
Sinnen küsst Mütterbeten in der Ferne
Sorglos streicht Tränen aus der klaren Stirn
und lehnt das Haupt dem grauenhaften Tag gelassen in den todesschwangern Schoß

Wilhelm Runge, Der Sturm, Nummer 12, 15. März 1917

Wilhelm Runge, * 13.6.1894 Rützen/Schlesien, † 22.3.1918 bei Arras „gefallen“. - Lyriker.

Die Illustration ist von Ernst Stöhr (1860 - 1917)

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