Dienstag, 24. Januar 2023

Albert Heinrich Rausch - Aus: Die toskanischen Sonette

 


Aus: Die toskanischen Sonette

XXIII.


In deiner Liebe lieg ich eingesponnen
Wie ein Gefild im goldnen Frühlingsschein,
Plötzlich erwacht und ganz von vorn begonnen
Zu stiller Seligkeit und tieferem Sein.

Ich hätte nie erträumt, daß das Gelände
Einsam gewordener Seele noch einmal
Der Liebesquelle selige Nahrung fände
Und blüht und sprießt am offnen Sonnenstrahl.

So liegen Kranke still, die das Erwachen
Fast schon erstorbnen Leibes wieder spüren:
Sie liegen nur und schlürfen jedes Lachen,

Das aus der Kehle froher Menschen dringt,
Und lassen sich wie Trunkene sanft entführen
Von jedem Vogel, der im Blauen schwingt.

XXXV.

Ach, es muß friedvoll sein, nach Haus zu kehren
Wie du in stille, heitere Ländlichkeit,
Von tief-erlebtem Glück geheim zu zehren
Im Dämmer täuschender Vergessenheit.

Fern ist die Welt, aus der du sonst die Maße
Für die Entfaltung deiner Seele nahmst,
Und im Erinnern ausgelöscht die Straße,
Auf der du müd aus vielem Wirrsal kamst.

Nun wird dein Denken einfach wie die Dinge,
Die in den Spiegel deines Auges fallen
Und klar als Bild in deine Seele streben:

Nichts mehr ist wesenlos und nichts geringe:
Die gleiche, keusche Schönheit ruht auf allen,
Die ganz erfüllt in ihren Formen leben.

XLII.

Die tief und wunderbar begonnen sind,
Toskanas nie erschöpfte Liebes-Träume,
Umspielen mich mit jedem lauen Wind
Im Kerzen-Dämmer dieser stillen Räume.

Die Flammen ruhn, trostvolle Abendgäste,
Auf weißem Schaft - Mitfühlende - und blühn.
Im offnen Tore schwanken Ölbaumäste
Auf einem Himmel fern und silbergrün.

Wie lehnt mein Sehnen sich der Nacht entgegen,
Die mir geheiligt ist, seit jener großen,
Unsäglich angefüllten, namenlosen . .

So wie ich damals dir im Schoß gelegen,
Liegt nun mein Leben tief in Dunkels Schoß:
Sich selbst Geheimnis, durch Geheimnis groß.

Aus: Sonette - Die toskanischen Sonette - Die hessischen Sonette von Albert H. Rausch
Egon Fleischel & Co, Berlin 1912

Albert Heinrich Rausch, geboren am 5. Mai 1882 in Friedberg (Hessen); gestorben am 11. Oktober 1949 in Magreglio am Comer See, Italien. 1900 begann er in Gießen das Studium der Germanistik, Romanistik und Geschichte, 1904 studierte er an der Sorbonne, Paris. 1906 traf er nach Tiefschlägen durch den Tod seiner Jugendfreunde auf Stefan George, was seine schriftstellerische Entwicklung wesentlich prägte. Die Kriegszeit verbrachte Rausch im Ausland; zuletzt ließ er sich in Magreglio nieder, wo er durch seine Intervention die Bevölkerung zweier Dörfer vor der Vernichtung durch die Nazis bewahrte und wo er bis zu seinem Tod am 11. Oktober 1949 blieb.

„Meine Augenlider haben kein Gewicht. Die Lasten, welche
der Glanz des Äthers auf sie legt, werden aufgehoben
durch die Trauer der Blicke, die von den
Tempelstufen zu ihnen emporstreben.“

Albert H. Rausch

Das Bild ist von Amedeo Modigliani (1884 - 1920)

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