Der Abgesang
Dein Weg ist nicht mehr der meine,
Teut, dir schwant, erkoren seist
Du am Nordgrat, nicht am Rheine,
Lug sei, was dich Andern eine,
Lug das Lamm in Kreuzespeine,
Blut sei Same, Gift der Geist.
Borgst dir Zeichen, Zucht und Richter,
Löschest aus die eignen Lichter,
Fährst vom Weltentempelhaus
Deiner Kaiser, deiner Dichter
Brüllend, Teut, ins Dunkel aus:
Wüsstest du was drinnen kreist!
Nacht hat auch zu mir gesprochen,
Gottesnacht, schwer dröhnt das Wort:
Losgebrochen! Losgebrochen!
Alle meine Pulse pochen
Von dem Rufe: auf und fort!
Und ich folge, und ich weine
Weine, weil das Herz verwaist,
Weil ein Tausendjahr vereist.
Aber ob zum Morgenscheine
Wieder lenkt umwölktes Wort,
Wo ich mich Altvätern eine,
Harrnd, dass Hagadol erscheine -
Ob der Ruf mich fernhin reisst:
Kür verheisst und Sende weist.
Weit aus heilig weissem Feuer
Reckt die Hand und heischt der Meister:
Überdaure! Bleib am Steuer!
Selige See lacht, Land ergleisst!
Wo du bist, du Immertreuer,
Wo du bist, du Freier, Freister,
Du der wahrt und wagt und preist -
Wo du bist, ist Deutscher Geist!
Am Seder zu sagen
Immer wieder wenn vom Wanderstaube
Müd, wir ausgeruht in andrer Laube
Riss der Andern Faust uns auf in Hohn:
Ihr gehört nicht her, macht euch davon!
Immer wieder!
Immer wieder wenn in Werk und Taten
Helfer, Deuter, wir zu Andern traten,
Ließen sie sichs eine Zeit gefallen
Sperrten danklos dann uns Haus und Hallen.
Immer wieder wenn wir uns vergaßen,
Selig sinnend bei den Andern saßen,
Fiel in unsern Wein ein Tropfen Lauge,
Stach uns böser Blick aus scheelem Auge.
Immer wieder wenn wir gläubig trauten,
Hart am Abgrund unsre Hütten bauten,
Wankt uralter Fels, zerbrach der First:
Spüre, dass du nirgends heimisch wirst!
Immer wieder!
Immer wieder bei der Hölle Sieden
Schreien wir zum Herrn, uns zu befrieden:
Will Dein Wort nicht Wurzel in uns schlagen
Endlich die gelobten Früchte tragen?
„Immer wieder, wohl, und immer wieder
Schüttl´ ich Meines Zornes Sturmgefieder.
Immer wieder habt ihr Mich verraten,
Wettert ich ob euren Frevelsaaten.
Immer wieder doch, und immer wieder
Steigen auf zum Himmel eure Lieder
Immer wieder such Ich das Zerstreute
Israel: nie wirds der Andern Beute!
Immer wieder, nun und immer wieder
Samml´ ich meines Volks verworfne Glieder
Zu der Zeltnacht meiner Passahstunde,
Schlag und schone, treu dem ewgen Bunde
Immer wieder, immer wieder!“
Karl Wolfskehl, aus: Die Stimme spricht, Schocken Verlag, Berlin 1934
Karl Wolfskehl, geboren am 17. 9. 1869 in Darmstadt, gestorben am 30. 6. 1948 im Exil in Auckland, Neuseeland. Er war aktiv im Münchner Kreis um Stefan George, mit dem er von 1892 bis 1919 die Zeitschrift „Blätter für die Kunst“ und 1901 bis 1903 die Sammlung „Deutsche Dichtung“ herausgab.
Karl Wolfskehl hat sich über den Charakter des Regimes der Nationalsozialisten nichts vorgemacht. Während andere seiner Freunde, vornehmlich aus dem Georgekreis, noch abwarteten, reiste er am Tage der Machtergreifung über Basel erst ins italienische, 1938 ins neuseeländische Asyl, ins Antithule, wie er die Insel am entgegengesetzten Teil der Erde nannte, so weit von Deutschland weg wie irgendwie möglich.
Nirwana
Was kann noch kommen da das Eine kam?
Die stürme ruhn sie schlafen bei den sonnen
Ich habe wachend deine gift gewonnen
O tod die lächelnd dunkles wirren nahm.
So lenkt gewissheit eines schläfers züge
Der sich auf unerstiegne zinnen wagt
Die firn zu sonnennah für adlerflüge
Nie seinem fuß den leichten sieg versagt.
Da sind versunkener städte seligkeiten
So ragt Vineta ewig unbewegt
Von seinen türmen schallt es in die zeiten
Hohn allem wahn der sich begehrend regt.
Also dem sinnen seltsam ohne scham
Wie in des späten jahres mittagscheinen
Spiegeln die bunten lüste sich und peinen
Was kann noch kommen da das Eine kam?
Aus: Blätter für die Kunst, Band 4 F 1/2 1887
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