Dienstag, 24. Januar 2023

Kurt Walter Goldschmidt: Mauern

 


Mauern

Wir gehen aneinander vorüber,
Jeder in sich und sein Schicksal gebannt –
Wir schicken Gruß und Gebärde hinüber
und leben jeder in anderem Land …
Aber hinter Wällen und Mauern,
Die sich unsichtbar zwischen uns baun,
Lebt der einsamen Seelen Trauern
Und der verwirrten Geschöpfe Graun.
Suchender Sehnsucht trübe Funken
Schwirren über den Mauerrand –
Aber schon hat sie die Nacht getrunken,
Ehe das Licht zum Ziele fand …
Und von der nächtlichen Schwermut Fächeln,
Von der Wehmut des jähen Verwehns
Bleibt nur der wissenden Seele Lächeln
Über den kurzen Trug des Verstehns. –
Alles wähnt, im andern zu leben –
Wenige küssen im Dunkeln sich sacht,
Wenn die Mauern klingend erbeben –
Doch über allen brütet die Nacht. –

Kurt Walter Goldschmidt, geboren am 2. Juli 1877 in Breslau, Schriftsteller und (neuromantischer) Lyriker, schrieb unter anderem für verschiedene Literaturzeitungen wie dem Literarischen Echo, Der Morgen, Rezensionen und andere Beiträge. Am 1. November 1941 wurde er in das Ghetto Litzmannstadt deportiert, wo er am 13. April 1942 starb.

Das Bild ist von Walter Gramatté (1897 - 1929) 

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